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WELT ONLINE 18.07.2012
(Foto: DAPD)
WELT ONLINE 18.07.2012
63-Jähriger seit knapp sechs Wochen im Hungerstreik – Denef: “Die Politik braucht Druck”
(Foto: DAPD)
Scharbeutz (dapd). Durch sein Dachgeschossfenster glitzert die
Ostsee. Auf dem Tisch des 63-Jährigen stehen seit knapp sechs Wochen nur
Wasser, Tee, Limonensaft und Gemüsewasser. Mit einem Hungerstreik will
Norbert Denef, der Sprecher des Opferverbandes netzwerkB, für die
Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt kämpfen. Wie
lange noch, das will der in Scharbeutz (Kreis Ostholstein) lebende Denef
von Tag zu Tag entscheiden.
Er lasse sich von niemandem unter Druck setzen. “Ich habe immer
gesagt, dass ich mich nicht umbringen will”, sagt Denef. Appelle von
Politikern wie Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig
(SPD) oder die Anzeige eines Kieler Grünen-Politikers, um ihn zur
Aufgabe zu zwingen, seien deshalb völlig unnötig.
35 Jahre lang hat Denef zu den traumatischen Ereignissen aus seiner
Kindheit und Jugend geschwiegen. Als er nach Depressionen, Panikattacken
und Burn-Out soweit war, sind die Taten bereits verjährt. Bei sexueller
Gewalt ist dies nach deutschem Strafrecht nach zehn Jahren der Fall, in
besonders schweren Fällen nach 20 Jahren.
Mit zehn Jahren war der damalige Ministrant in seiner Heimatstadt
Delitzsch von einem katholischen Pfarrer missbraucht worden – das Drama
dauerte sechs Jahre. Danach kam ein weiterer Kirchenangestellter. Denefs
Martyrium endete erst im Alter von 18 Jahren. Noch heute leidet der
Rentner an den Folgen.
Die Missbrauchsfälle des Pfarrers seien in seiner Heimat lange
bekannt gewesen. Immer dann, wenn in einer Gemeinde darüber bereits
gesprochen wurde, sei der Pfarrer “über Nacht in eine andere Gemeinde
versetzt worden”. “Insgesamt hat der mittlerweile verstorbene Pfarrer
nach meinen Erkenntnissen 150 bis 200 Kinder und Jugendliche
missbraucht”, sagt Denef.
“Ab 10 missbraucht bis 18 und ab dann nur noch funktioniert”, sagt
Denef heute über die Zeit danach. Mit 40 Jahren sei er jedoch am Ende
seiner Kräfte gewesen. 2003 habe er zwar 25.000 Euro zur Durchführung
einer Therapie vom Bistum Magdeburg angeboten bekommen, jedoch nur wenn
er wieder schweigt. Denef wandte sich an den Papst und bat ihn um Hilfe,
weil der Bischof von Magdeburg ihn wieder zum schweigen zwingen wollte.
Ein halbes Jahr später erhielt er sogar eine Antwort aus dem Vatikan.
“Der Papst ließ mir mitteilen, dass er für mich bete und mich ermutigt,
den Allmächtigen Gott um die Kraft der Vergebung zu bitten.” Nach
diesem Schreiben hat Denef versucht, sich das Leben zu nehmen. Nach
zweijährigem juristischem Kampf wurde die Schweigeklausel gestrichen.
Die Sachen ruhen lassen wollte und konnte er trotzdem nicht. Denef schrieb ein Buch über sein Leiden (“Ich wurde sexuell missbraucht”)
und gründete das netzwerkB (Netzwerk Betroffener von sexualisierter
Gewalt e.V.). Aus der katholischen Kirche ist Denef bereits vor Jahren
ausgetreten. In seinem Kampf für eine Aufhebung der Verjährungsfristen
setzt Denef vor allem auf die SPD.
Ende 2011 sprach er auf dem SPD-Bundesparteitag in Berlin über die Leiden der Betroffenen. Kurz
nach seiner dreiminütigen Rede habe der Parteitag sich einstimmig für
die Aufhebung der Verjährungsfristen bei sexualisierter Gewalt
ausgesprochen, sagt Denef. Anschließend kamen Nordrhein-Westfalens
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Mecklenburg-Vorpommerns
Sozialministerin Manuela Schwesig zu ihm und umarmten ihn zustimmend.
Erst am Freitag suchte Norbert Denef in Berlin vor dem Reichstag
erneut das Gespräch mit Vertretern der SPD mit dem Ziel, die
Sozialdemokraten zu motivieren, sich auf die Seite der Betroffenen zu
stellen. Besucht hat ihn keiner der Abgeordneten. “Die Politik braucht
Druck, damit sie zu einer Entscheidung kommt”, sagt Denef. Jeder Tag
seiner Aktion sei deshalb bereits ein Erfolg.
Als Erpressung der Politik will er seine Aktion nicht verstanden
wissen. “Ich bin kein Terrorist, ich möchte der Politik nur den Spiegel
vorhalten.” Nebenbei habe er mittlerweile mehr als 63.000 Unterschriften
für sein Anliegen gesammelt. Dennoch sei der Weg bis zu einer Aufhebung
“unglaublich lang”. Aufgeben will er nicht, auch wenn der Hungerstreik
in wenigen Tagen aus gesundheitlichen Gründen vorbei sein könnte.
Mittlerweile hat er zwölf Kilogramm abgenommen.