Sonntag, 4. August 2024

Deutschland in der Krise: Umsatzverluste, mangelnde Investitionen, zu wenig (Fach-)Arbeitskräfte, abgerüstetes Militär, AfD ...

Chinesische Wanderarbeiter

(IW) Das Institut der deutschen Wirtschaft, geleitet von Michael Hüther, macht trotz einer angekränkelten Lage Mut zum Aufbau:

"Es stimmt: Deutschland ist in der Krise. Doch das ist noch kein Grund, in Panik zu verfallen – es gibt Lösungen."

Deutschland hat zwar viele Krisen (Wiedervereinigung, Finanz- und Eurokrise, Flüchtlingsströme, Corona, der russische Überfall auf die Ukraine) erlebt, aber Panik ist nicht angebracht. Ein Rückblick zeigt, dass viele Herausforderungen erfolgreich gemeistert wurden. Deutschland ist stabil, demokratisch, mit talentierten Menschen und innovativen Unternehmen. Probleme müssen benannt werden, z.B. fehlende Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung und Bildung.
"Wir brauchen – angesichts einer beim Verteidigungsetat in den vergangenen Dekaden erwirtschafteten Friedensdividende von rund 650 Mrd. Euro – vermutlich 250 bis 300 Milliarden Euro mehr (statt der nur 100 Mrd. Euro im Bundeswehrsondervermögen), um unsere Armee verteidigungsfähig zu machen – und müssen gleichzeitig wohl mindestens das Doppelte in die Modernisierung unseres Landes stecken."
Ergänzend hier ein Interview der Rheinischen Post mit Michael Hüther:



(RP) Herr Hüther, Sie sind seit 20 Jahren an der Spitze des Instituts der deutschen Wirtschaft und einer der einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Welche Krise in dieser Zeit war für Sie die schlimmste?

(MH)Nach der Auflösung des arbeitsmarktpolitischen Reformstaus mittels der Agenda 2010 vor allem die große Finanz- und Staatsschuldenkrise ab 2008, die massive Zuwanderung als Folge des Bürgerkriegs in Syrien 2015/2016, die Corona-Pandemie und schließlich der Überfall Russlands auf die Ukraine. Alle diese Krisen haben uns existenziell herausgefordert oder tun es noch heute. Für mich persönlich war die Corona-Pandemie am einschneidendsten. Sie hat das Land in den Ausnahmezustand versetzt.

Wurden die Grundrechte zu schnell eingeschränkt?

Natürlich ist man hinterher immer klüger. Man hätte die Schulen und den öffentlichen Raum nicht schließen dürfen. Das haben andere Länder anders gemacht. Es ist unverzeihlich, dass Deutschland da nicht genau hingeschaut und die Erfahrungen ausgewertet hat.

Vermissen Sie eine ehrliche Debatte über die Fehler?

Es gibt jetzt schon eine Debatte darüber, was man anders hätte tun können. Aber damals war es kaum möglich, andere Meinungen zu äußern. Denken Sie nur an die Formulierung von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder: „Team Vorsicht”. Eine Unverschämtheit. Wir waren ja in der Kommission von NRW-Landeschef Armin Laschet nicht unvorsichtig. Die Risiken des Lockdowns wurden komplett ausgeblendet. Übrigens war Wolfgang Schäuble der Einzige, der sich getraut hat zu sagen: Im Grundgesetz steht nicht der Schutz des Lebens als absoluter Wert, sondern die Würde des Menschen.

Jetzt fordert uns Russland massiv heraus. Reagieren wir richtig?

Russland ist seit Peter dem Großen eine imperialistische Macht. Die Zaren, die Sowjetunion und das heutige Russland – alle wollten immer ihr Gebiet massiv erweitern. Die Frage ist jetzt, wie lange die russische Bevölkerung bei diesem sich selbst verstärkenden Prozess mitmacht.

Kann Russlands Wirtschaft diese Expansion mittragen?

Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt. Und Rüstungsproduktion trägt nun mal dazu bei, dass das Bruttoinlandsprodukt steigt. Das ist nicht ungewöhnlich. Gleichzeitig sind die Ressourcen Russlands endlich. Der Arbeitsmarkt gibt nicht mehr viel her, und Gazprom verliert Kunden und Umsatz. China ist für Putin nur ein Hoffnungswert.

Die stärkere Wirtschaft ist der Vorteil des Westens. Müssten wir noch stärker hochrüsten?

Im Kalten Krieg gab die Bundesrepublik unter Friedenskanzler Willy Brandt 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung aus. Jetzt haben wir erstmals zwei Prozent geschafft im Angesicht der schweren Krise. Für die laufenden Ausgaben ist das erst einmal genug. Aber die Ausrüstung der Bundeswehr ist noch zu dürftig.

Was schlagen Sie vor?

Der Sonderfonds für die Bundeswehr beträgt 100 Milliarden Euro. Das reicht nicht aus. Wir benötigen eine Aufstockung auf 250 bis 300 Milliarden Euro. Nur so erreichen wir eine kriegstüchtige Ausstattung unserer Armee. Und das ist finanzierbar. Immerhin betrug die Friedensdividende seit 1990 rund 600 Milliarden Euro.

Was kann man tun, um das Wachstum anzukurbeln?

Wir könnten den Soli abschaffen, der zur Unternehmenssteuer geworden ist. Wir sollten Investitionsprämien einführen, um die investive Rezession zu überwinden. Wir brauchen auf Sicht eine große Steuerreform, die letzten gab es unter Helmut Kohl und Gerhard Schröder. Dazu sollte es in der nächsten Legislaturperiode eine Kommission geben, die diese vorbereitet. Mit 30 Prozent Steuerlast für Unternehmen ist Deutschland trauriger Spitzenreiter.

Was hat Deutschland in den letzten Jahren eigentlich gemacht?

Wir haben die Friedensdividende, die uns die Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer brachten, leider nicht in Infrastruktur, Digitalisierung oder Bildung investiert. Wir haben diese Mittel zum Teil genutzt, um die Schulden zu senken. Wir haben sie aber vor allem konsumiert. Das rächt sich nun.

Was ist das Hauptproblem?

Das Hauptproblem in Deutschland ist das Stadt-Land-Gefälle. Vom „Deutschlandticket” haben Großstädter viel; auf dem Land, wo kein Bus fährt, haben die Bürger nichts davon. In einer Großstadt wie Berlin ist die Wärmewende kein Problem, auf dem Land lohnt sich Fernwärme nicht. Der Klimaschutz treibt die Spaltung von Stadt und Land voran. Auch bei der Gesundheitsversorgung gibt es dieses Gefälle.

Macht dieses Gefälle die AfD groß?

Wir sehen, dass die AfD im ländlichen Raum stärker ist als in Großstädten.

Wird die AfD nicht selbst zum Problem, gerade im Osten?

Die AfD ist ein Standortrisiko. Über 80 Prozent der 65 Wirtschaftsförderer, die in einer Befragung unserer Tochter IW Consult teilnahmen, schätzen die Auswirkungen des AfD-Erstarkens auf den Industriestandort als Risiko ein, nicht ein einziger erkennt im Aufstieg der Rechtspopulisten eine Chance. Wichtiger als Fensterreden ist es, in die Betriebe zu wirken.

Was also tun im Osten, 34 Jahre nach der Vereinigung?

Alles in allem hat die Vereinigung gut geklappt, nun muss der Osten seine Vorteile ausspielen. In den alten Ländern stehen nur bis zu acht Prozent der Fläche für Gewerbeansiedlungen zur Verfügung, in den neuen Ländern sind es 20 Prozent. Zudem strahlt Berlin erstmals seit dem Mauerfall positiv auf das Umland aus. Die Ansiedlung des Tesla-Werks ist ein Beispiel dafür.

Aber Milliarden-Subventionen für Intel verbieten sich wohl trotzdem aus ordnungspolitischer Sicht, oder?

Das darf man nicht dogmatisch sehen. Alle Halbleiterstandorte weltweit leben von Subventionen. Und ohne Subventionen nach dem Mauerfall wäre Dresden nie der fünftgrößte Mikrochip-Standort der Welt geworden. Entscheidend ist, was der Staat unterstützt. Sprung-Investitionen sind oft nur mit Subventionen möglich.

Ein Beispiel?

Die CO2-Bepreisung ist gut, wird aber wegen der schrittweisen Erhöhung der CO2-Preise nicht dazu führen, dass eine Branche von alleine radikal umstellt. Die Stahlproduktion wird nur klimafreundlich, wenn man die Konzerne unterstützt – sonst weichen sie den hohen Preisen aus und wandern ab. Und das ist möglich, weltweit sind nur 22 Prozent der Emissionen überhaupt bepreist.

Michael Hüther wird nach 20 Jahren an der IW-Spitze zum Keynesianer?

Man soll Keynesianer sein in keynesianischen Situationen. Und die hatten wir in den vergangenen Jahrzehnten nur einmal: 2009 nach der Weltfinanzkrise. Da war eine expansive Geld- und Fiskalpolitik genau richtig, die sich etwa in öffentlichen Investitionsprogrammen und Kurzarbeitergeld-Ausweitung zeigte.

Wie hat sich die Politikberatung des IW in dieser Zeit verändert?

Wir verstehen uns als Anwalt der sozialen Markwirtschaft und der Demokratie. Uns müssen nicht alle mögen, wir wollen aber nach allen Seiten dialogfähig sein. Unsere Beratung soll relevant sein, empirisch belastbar und politisch vermittelbar. Und mein Eindruck ist, dass wir uns in all diesen Kategorien ganz gut schlagen.  

Wie gut können die „Wirtschaftsweisen” noch als Berater sein, die sich auf offener Bühne streiten? Als früherer Generalsekretär haben Sie sicher einen besonderen Blick darauf.

Der Sachverständigenrat war stets zurecht stolz auf seine Unabhängigkeit. Indem ein Teil des Rates seinen Streit in Mails an Bundesminister öffentlich gemacht hat, gibt er genau diese Unabhängigkeit auf. Das ist bedauerlich. Offenbar ist eine interne Streitbeilegung missglückt – so schadet man seiner Rolle als Berater.

Freitag, 2. August 2024

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson will es wissen: Was hat Orban vor?

Orban als Europaratsvorsitzender 2024



Die Lockerung der Visa-Bestimmungen für russische und belarussische Staatsbürger in Ungarn wird von EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zurecht als  Sicherheitsbedrohung für die EU angesehen. Orban lässt russische und belarussische Bürger, die regulär nicht in den EU-Raum einreisen dürfen, nach Ungarn einreisen, was den europäischen Raum frei zur Verfügung stellt. Wer auch immer mit welchen Absichten weiterreist, steht potenziell im Verdacht illegale Aktionen zu starten, zu verwirklichen und ggf. Informationen nach Moskau oder Minsk weiterzuleiten.

Johansson hat der ungarischen Regierung Fragen zu diesem Thema geschickt und betont, dass bei einem Risiko für den Schengen-Raum Maßnahmen ergriffen werden. Sie äußerte Bedenken, dass die erleichterten Visa-Verfahren es sanktionierten Russen ermöglichen könnten, Einreiseverbote zu umgehen. 

Ungarns Regierungschef Viktor Orban hat ein Dekret unterzeichnet, das das Schnellverfahren für Visa auf Russland und Belarus ausweitet. Dies könnte zu einer faktischen Umgehung der EU-Einschränkungen führen und die Sicherheit im Schengen-Raum gefährden. Johansson schloss sich den Bedenken konservativer EU-Parlamentarier an, die auf mögliche Spionageaktivitäten hinwiesen. 

Die Beziehungen zwischen Ungarn und den anderen EU-Ländern sind angespannt, insbesondere aufgrund von Orbans Nähe zum Kreml seit der Invasion in der Ukraine. Orban skizziert hier erneut seine bizarre, durchaus europafeindliche Außenseiterposition mit Hang zum Rechtsextremen trotz diverser Übereinstimmungen mit europäischen Anschauungen.

Overshoot Day: Wir vernichten mehr Ressourcen als uns zur Verfügung stehen

Der gestrige Tag markiert den Hashtagovershoot day/Überschusstag der Erde und fällt auf den 1. August (ein Mittelwert aller Nationen), einen Tag früher als im letzten Jahr, was unseren Konsum verdeutlicht, der wesentlich höher ist als die Menge an nachwachsenden oder recycelten Ressourcen.
  • Fast eine Milliarde Menschen hungert täglich, während eine weitere Milliarde mehr Nahrung verbraucht, als sie jemals braucht, also Nahrung auch verschwendet.
  • Das weltweit verschwendete Getreide entspricht fast dem jährlichen Getreideangebot Indiens.
  • Die jährliche Verschwendung von Obst und Gemüse übersteigt das jährliche Angebot für den gesamten afrikanischen Kontinent.
  • Die OECD-Länder, die etwas mehr als 15 % der Weltbevölkerung ausmachen, erzeugen 30 % des weltweiten organischen Abfalls.

Und das ist nur ein kleiner Einblick in die verschwenderischen Trends bei fast jedem Produkt, das wir konsumieren.


Unsere gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen haben uns hierher geführt, und obwohl wir die Vergangenheit nicht ändern können, müssen wir verstärkt eine nachhaltigere Zukunft schaffen. Es geht nicht nur um individuelle Handlungen, alle Nationen müssen sich für eine neue Politik einsetzen, die sicherstellt, dass jedes bisschen der Ressourcen der Erde mit Bedacht genutzt wird. Gemeinsam können wir etwas bewirken. Es muss nur getan werden.

Die Grafik zeigt, wo der jeweilige Überschusstag der Nationen liegt. Erschreckend zu sehen, dass wir in Deutschland ihn schon im Mai und Luxemburg schon im Februar erreichen! Die sozialen Tafeln in Deutschland als eine Weiterverwendung der übriggebliebenen Lebensmittel sind eine wichtige Maßnahme in der vollständigen Nutzung der natürlichen Güter. Auch ein viel sparsamer Umgang mit seltenen Gütern, Rohstoffen, Produkten gehört dazu. Einfache Speisen im Alltag, nur gelegentlich etwas Besonderes.






Donnerstag, 1. August 2024

ZDF: Das Lobbyismus-Experiment für alle, die den Beitrag nicht sahen

Vor einigen Tagen habe ich darüber berichtet, dass abgeordnetenwatch.de mit dem ZDF zusammen eine große Lobbyismus-Recherche durchführte, die Ergebnisse und Aufdeckungen liest man beim ZDF hier


Lobbyisten und Lobbyvereine verschaffen Termine und Gespräche bei Staatssekretären und Ministern, die man teuer bezahlen muss, gleichzeitig ist die Lobbyistentätigkeit sehr lukrativ. Wer viel arbeitet kommt auf bis zu 500.000  Grundeinkommen.

Auf der Seite von abgeordnetenwatch.de finden sich Schilderungen aus erster Hand, die wirklich spannend zu lesen sind. Wie Wallraff einst hat man schöne Fallen und Attrappen eingesetzt.

Mittwoch, 31. Juli 2024

Putin möchte Osteuropakundlern ihre Arbeit verbieten

Die Frankfurter Rundschau berichtete am 30.07.2024 über Putins Verbot der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (DGO). Diese vereinigt ca. 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich als Slawisten, Historiker, Ökonomen, Kultur- oder Politikwissenschaftler mit regionaler Osteuropaforschung befassen.

Schon die Einstufung der DGO als „unerwünschte Organisation“ war ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Jetzt hat Russland diesen Angriff weiter eskaliert. Die Einstufung der DGO als „extremistische Organisation“ ist unbegründet. Die DGO weist sie mit Nachdruck zurück. Die DGO prüft momentan, welche rechtlichen Schritte angemessen sind und hat über die Heinrich-Böll-Stiftung eine Stellungnahme veröffentlicht.

Dienstag, 30. Juli 2024

Deutsche Bahn braucht mehr Umsatz


(IW/Thomas Puls) Die Deutsche Bahn hat gerade ihre Halbjahreszahlen vorgestellt. Und auch hier zeigt sich: Jede große Krise hat mehr als eine Ursache. 

Die marode Infrastruktur, viele Unwetter und Streiks zu Jahresbeginn haben die Bilanz verhagelt, der Konzern hat erhebliche Verluste in Höhe von 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. Neben den oftmals hausgemachten Problemen drückt die schwache Konjunktur die Auftragslage im Cargo-Geschäft. Hinzu kommen acht Prozent mehr Schulden im Vergleich zum Vorjahr. Ein deutliches Warnsignal, findet IW-Experte Thomas Puls, denn eine schlechte Schieneninfrastruktur und eine schwache Bahn bremsen die deutsche Wirtschaft zusätzlich aus.

Positiv stimmt aber die Investitionsoffensive, die Bund und Bahn nun gehen. Das führt im Zweifel erstmal zu Verspätungen für die Fahrgäste, doch die laufende Sanierung der Riedbahn im Südwesten macht Mut: Hier gab es bisher kaum negative Auswirkungen auf den rollenden Verkehr. 





Montag, 29. Juli 2024

Einkommensverteilung in Deutschland und Europa zum Vergleich

Deutschland
*Bedarfsgewichtetes Nettoeinkommen (kaufkraftbereinigt in Euro)
Median1.942 Euro05101520252001.0002.0003.0004.0005.0006.000Median1.529 Euro0510152025





Was ist das „bedarfsgewichtete Nettoeinkommen“?

Das bedarfsgewichtete Nettoeinkommen (auch Äquivalenzeinkommen) berücksichtigt, dass Kinder weniger Geld brauchen als Erwachsene, und dass das Leben günstiger wird, wenn mehrere Menschen zusammenleben. Deshalb wird das gesamte Nettoeinkommen eines Haushalts durch die bedarfsgewichtete Zahl der Haushaltsmitglieder geteilt. Der erste Erwachsene hat den Faktor 1, jedes weitere Haushaltsmitglied ab 14 Jahre den Faktor 0,5, Kinder unter 14 Jahren bekommen den Faktor 0,3. Ein Paar ohne Kinder muss demnach nur über das 1,5fache des Einkommens eines Singlehaushalts verfügen, um statistisch zur selben Einkommensgruppe zu gehören. Das Nettoeinkommen eines Haushalts umfasst die Bruttoeinkommen aller Haushaltsmitglieder abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge und direkter Steuern wie der Einkommensteuer. Zum Einkommen zählen Löhne, Einkommen aus selbstständiger Arbeit, Zinsen, Mieteinnahmen, Renten und staatliche Transferleistungen wie beispielsweise Arbeitslosen- und Kindergeld.

Was bedeutet „kaufkraftbereinigt“?

Die Euro-Beträge in dieser Grafik werden in Kaufkraftstandards (KKS) umgerechnet, eine fiktive kaufkraftbereinigte Währung, die über Wechselkurse hinausgehende Unterschiede zwischen nationalen Preisniveaus ausgleicht. Mit einem KKS kann man in allen Ländern die gleiche Menge an Waren und Dienstleistungen kaufen. Ein KKS entspricht also der durchschnittlichen Kaufkraft eines Euro in der Europäischen Union. Deutschland beispielsweise hat ein überdurchschnittliches Preisniveau, das heißt in Deutschland kann man sich für einen Euro weniger Güter leisten als im EU-Durchschnitt. Deshalb werden die Einkommen in Deutschland durch 1,08 geteilt. Beispielsweise haben 1.000 Euro somit eine Kaufkraft von 926 KKS (Eurostat-Werte der Aktualisierung vom 26.03.2024).


Was zeigen die einzelnen Balken?

Die einzelnen Balken dieser Grafik umfassen jeweils 200-Euro-Abschnitte in Bezug auf das bedarfsgewichtete kaufkraftbereinigte Nettoeinkommen (siehe die beiden vorigen Fragen), das heißt der erste Balken zeigt den Anteil der Bevölkerung, der 0 bis 200 Euro in KKS monatlich bezieht usw.


Was bedeutet Medianeinkommen?

Das Medianeinkommen (auch mittleres Einkommen) ist das Einkommen, das alle Einkommensbezieher in zwei genau gleich große Gruppen teilt: Die eine Hälfte hat höhere Einkommen, die andere niedrigere. Das Medianeinkommen ist verglichen mit dem Durchschnittseinkommen robuster gegenüber statistischen Ausreißern, das heißt Extremwerten am unteren und oberen Ende der Einkommensverteilung, und wird konventionell der Berechnung der landesspezifischen Armutsgefährdungsquoten zugrundgelegt: Als armutsgefährdet gelten demnach alle Personen mit weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens.


Wie sind die Einkommensschichten definiert?

Jede Gesellschaft wird in fünf Gruppen unterteilt: Den armutsgefährdeten Bereich (unter 60 Prozent des nationalen Medianeinkommens), die einkommensschwache oder „untere“ Mitte (60 bis 80 Prozent), die Mitte im engen Sinne (80 bis 150 Prozent), eine einkommensstarke oder „obere“ Mitte (150 bis 250 Prozent) und die Einkommensreichen (mehr als 250 Prozent).


Warum verlaufen die Grenzen der Einkommensschichten auf unterschiedlicher Höhe?

In jedem Land gelten andere Grenzen der Einkommensschichten, weil diese abhängig vom Wohlstand der jeweiligen Gesellschaft definiert werden. Als Orientierungswert gilt das nationale Medianeinkommen (siehe vorige Frage). Da das Medieneinkommen beispielsweise in Rumänien niedriger liegt als in Deutschland, zählen dort Menschen zur Mittelschicht, die gemäß ihres bedarfsgewichteten kaufkraftbereinigten Einkommens in Deutschland armutsgefährdet wären.


Wie wird die europäische Mittelschicht berechnet?

Um die (Einkommens-)Mittelschicht der Europäischen Union zu berechnen, werden zunächst alle Einkommen entsprechend der nationalen Preisniveaus in europäische Kaufkraftstandards umgerechnet (siehe zweite Frage). Dadurch wird die Kaufkraft der Einkommen aller EU-Bürger vergleichbar. Auf Basis der Gesamtheit aller EU-Bürger wird ein gemeinsames Medianeinkommen ermittelt, welches wiederum als Grundlage für die Abgrenzung der Einkommensschichten verwendet wird. Es handelt sich somit nicht um den Durchschnittswert der Mittelschichten der einzelnen EU-Staaten, sondern um die Größe der EU-Mittelschicht, wenn die EU ein einziges Land wäre.


Auf welchen Daten basiert die Auswertung?

Die Berechnungen basieren auf Daten der europaweit durchgeführten Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions). Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung liegen Forschungsdaten für die Gesamtheit der EU-27 für das Jahr 2022 vor. Allerdings beziehen sich die Einkommen – anders als die sozio-demografischen Merkmale – auf das jeweilige Vorjahr der Erhebung. Da in dieser Betrachtung die Einkommensverteilung im Vordergrund steht, beziehen sich die Jahreszahlen in der Grafik auf das Jahr 2021.


Samstag, 27. Juli 2024

Warum unser Wohnungsmarkt zu wenig billige Wohnungen zur Verfügung stellt


Das Thema bezahlbarer Wohnraum ist in der heutigen Gesellschaft immer wichtiger geworden, da viele Menschen Schwierigkeiten haben, Wohnraum zu finden, der ihren finanziellen Möglichkeiten entspricht. Dieser Aufsatz untersucht die Gründe, warum der Wohnungsmarkt nicht genügend günstigen Wohnraum bietet, und untersucht dabei sowohl argumentative als auch gegenargumentative Perspektiven.

Einer der Hauptgründe für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist die hohe Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt. Da die Bevölkerung weiter wächst, steigt auch die Nachfrage nach Wohnraum, was zu einem Anstieg der Immobilienpreise führt. Diese hohe Nachfrage, die durch Faktoren wie Urbanisierung und Migration angeheizt wird, übt Druck auf den Wohnungsmarkt aus und führt dazu, dass die Preise für viele Menschen unerschwinglich werden. Neben der wachsenden Bevölkerung verschärft das begrenzte Angebot an Wohnraum das Problem weiter und führt zu einer Situation, in der die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt. Darüber hinaus kann die hohe Nachfrage ausländischer Investoren, die in Immobilien investieren möchten, die Preise noch weiter in die Höhe treiben, was es den Anwohnern erschwert, sich eine Wohnung in ihrer eigenen Gemeinde leisten zu können.

Während die hohe Nachfrage eine Rolle beim Mangel an bezahlbarem Wohnraum spielt, beeinflusst auch die Marktspekulation den Wohnungsmarkt erheblich. Spekulanten, die Immobilien mit der Absicht kaufen, sie gewinnbringend und nicht für den Eigenbedarf zu verkaufen, können die Immobilienpreise künstlich in die Höhe treiben. Dieses spekulative Verhalten treibt nicht nur die Preise in die Höhe, sondern verringert auch die Verfügbarkeit von Wohnraum für normale Käufer, was die Möglichkeiten für bezahlbaren Wohnraum weiter einschränkt. Darüber hinaus können durch Spekulation Immobilienblasen entstehen, die zu Marktinstabilität führen und es für Einzelpersonen noch schwieriger machen, bezahlbaren Wohnraum zu finden.

Ein weiterer Faktor, der zur Knappheit an billigem Wohnraum beiträgt, sind die steigenden Baukosten für den Bau neuer Wohneinheiten. In vielen begehrten Gegenden sind die Grundstückspreise unerschwinglich, was es für Bauträger schwierig macht, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Darüber hinaus erhöhen die steigenden Kosten für Baumaterialien, die durch Faktoren wie Lieferkettenunterbrechungen und Inflation bedingt sind, die Gesamtbaukosten zusätzlich. Darüber hinaus sind die Arbeitskosten für Bauarbeiter gestiegen, was den Bau von bezahlbarem Wohnraum teurer macht.

Neben den steigenden Baukosten verschärft das Fehlen staatlicher Eingriffe in den Wohnungsmarkt das Problem des bezahlbaren Wohnraums. Unzureichende staatliche Subventionen für bezahlbaren Wohnraum machen es für Bauträger finanziell untragbar, billige Wohneinheiten zu bauen. Das Fehlen einer Mietpreiskontrolle ermöglicht es Vermietern außerdem, die Mieten willkürlich zu erhöhen, was die bezahlbaren Wohnmöglichkeiten für Mieter weiter einschränkt. Darüber hinaus macht der Mangel an einem soliden Schutz der Mieterrechte Mieter anfällig für räuberische Praktiken, was zur allgemeinen Knappheit an billigem Wohnraum beiträgt.

Auch staatliche Vorschriften spielen eine wichtige Rolle bei der Verhinderung der Schaffung von günstigem Wohnraum. Flächennutzungsgesetze, die vorschreiben, wie Land für die Entwicklung genutzt werden darf, können den Bau von bezahlbarem Wohnraum in bestimmten Gebieten einschränken. Diese Flächennutzungsbeschränkungen begünstigen häufig die Entwicklung von Wohnprojekten der gehobenen Klasse und schränken die Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum für Personen mit niedrigem und mittlerem Einkommen weiter ein. Darüber hinaus können Bauvorschriften, die Sicherheit und Qualität gewährleisten sollen, die Baukosten erhöhen, was es Bauträgern erschwert, günstige Wohneinheiten zu bauen. Langwierige und kostspielige Genehmigungsverfahren können Bauprojekte verzögern, was die Gesamtkosten für den Bau von bezahlbarem Wohnraum erhöht.

Die wirtschaftliche Ungleichheit ist ein weiterer entscheidender Faktor, der zum Mangel an günstigem Wohnraum auf dem Markt beiträgt. Der eingeschränkte Zugang zu Krediten für Personen mit niedrigem Einkommen macht es für sie schwierig, sich für Hypotheken zu qualifizieren oder eine Finanzierung für den Kauf von Wohneigentum zu erhalten. Stagnierende Löhne und steigende Lebenshaltungskosten machen es für die Menschen zunehmend schwieriger, sich eine Wohnung zu leisten, insbesondere in Regionen mit hohen Immobilienpreisen. Der Teufelskreis der Armut, der durch den Mangel an bezahlbarem Wohnraum noch verstärkt wird, vertieft die wirtschaftliche Ungleichheit weiter und schränkt den Zugang des Einzelnen zu angemessenem Wohnraum ein.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Mangel an günstigem Wohnraum auf dem Markt ein vielschichtiges Problem ist, das von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, darunter hohe Nachfrage, steigende Baukosten, staatliche Regulierung, Marktspekulation, mangelnde staatliche Intervention und wirtschaftliche Ungleichheit. Die Bewältigung dieser komplexen Herausforderungen erfordert einen umfassenden Ansatz, der die Zusammenarbeit zwischen politischen Entscheidungsträgern, Entwicklern, Interessenvertretern der Gemeinschaft und Interessengruppen umfasst, um sicherzustellen, dass erschwingliche Wohnmöglichkeiten für alle Menschen unabhängig von ihrem Einkommensniveau zugänglich sind. Durch das Verständnis der Grundursachen der Krise des bezahlbaren Wohnraums kann die Gesellschaft auf die Umsetzung nachhaltiger Lösungen hinarbeiten, die erschwinglichen Wohnraum und Inklusivität für alle fördern.

Donnerstag, 25. Juli 2024

Wieviel Manipulation, lobbyistische "Korruption", Lenkung von außen für individuelle Ziele findet in Berlin wirklich statt?

abgeordnetenwatch.de hat 18 Monate gearbeitet an einer experimentellen Recherche im Lobbyistenmilieu. Es gibt einen aktuell ausgestrahlten Film beim ZDF dazu. Was haben sie herausgefunden?

"Es war die aufwändigste Recherche, die wir je gemacht haben. Mehrere Monate lang waren Undercover-Reporter:innen von abgeordnetenwatch.de und dem ZDF als vermeintliche Lobbyist:innen im Berliner Regierungsviertel unterwegs. Sie trafen Abgeordnete im Bundestag, in Restaurants und privaten Clubs. Und sie trafen prominente Ex-Politiker, die heute als Berater arbeiten und gegen Geld Kontakte zur Regierung vermitteln.

Das Projekt, an dem ein halbes Dutzend Journalist:innen mitgewirkt haben, diente einem Zweck: sichtbar zu machen, was sich in den Hinterzimmern des Regierungsviertels abspielt, wenn Lobbyist:innen und Politiker:innen unter sich sind. Entstanden ist ein 30-minütiger Dokumentarfilm, der gestern Abend im ZDF ausgestrahlt wurde. 

Für das Experiment haben wir uns Anfang 2023 eine Legende ausgedacht. Wir haben uns als Lobbyagentur ausgegeben, die für einen fiktiven Kunden arbeitet. Mit dieser Geschichte haben wir mehr als zwei Dutzend Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen angeschrieben und um einen Termin gebeten. 

Mehrere Abgeordnete haben sich mit uns getroffen. Einige ließen sich zum Essen einladen, drei Abgeordnete taten uns konkrete Gefallen, indem sie Informationen einholten oder uns erlaubten, mit ihrem Namen für eine Lobbyveranstaltung zu werben.

Außerdem haben sich unsere vermeintlichen Lobbyist:innen mit Ex-Politikern getroffen, die heute als Berater oder Lobbyisten tätig sind. Zwei Ex-Minister und ein ehemaliger Staatssekretär stellten uns ein Treffen mit Minister:innen oder Staatssekretär:innen der Ampel in Aussicht.

Die Rechercheergebnisse haben uns sprachlos gemacht. Wir hätten nicht gedacht, dass es so einfach ist, sich Zugang zur Regierung zu kaufen. Unser Experiment zeigt, wie leicht es Lobbyist:innen haben, Termine im Bundestag oder mit einem Regierungsmitglied zu bekommen und wie distanzlos das Verhältnis einiger Politiker:innen zu Lobbyist:innen ist. "

Mittwoch, 24. Juli 2024

Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts 2024: Jetzt Einbürgerung schon nach fünf Jahren oder gar drei!

Am Donnerstag, den 27. Juni 2024, trat das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft. Damit hat das Bundesinnenministerium eine zentrale Reform der aktuellen Bundesregierung umgesetzt. Menschen, die in Deutschland arbeiten und gut integriert sind, können schon nach fünf statt nach acht Jahren deutsche Staatsangehörige werden. 

Sie brauchen ihre bisherige Staatsangehörigkeit und damit einen Teil ihrer Identität nicht mehr aufzugeben. Unter strengen Voraussetzungen ist künftig auch nach drei Jahren eine Einbürgerung möglich. Zugleich werden die Anforderungen für das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung strenger. Hier gilt: Rassismus, Antisemitismus oder jede andere Form von Menschenfeindlichkeit schließen eine Einbürgerung aus.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser: "Ich freue mich sehr, dass das neue Staatsangehörigkeitsrecht jetzt in Kraft tritt. Unsere Reform ist ein Bekenntnis zu einem modernen Deutschland. Wir stärken damit den Standort Deutschland. Denn im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe müssen wir Fachkräften die Perspektive geben, in absehbarer Zeit voll und ganz Teil unserer Gesellschaft werden zu können.

Wer unsere Werte teilt und sich anstrengt, kann jetzt schneller den deutschen Pass bekommen und muss nicht mehr mit der alten Staatsangehörigkeit einen Teil seiner Identität aufgeben. Genauso klar haben wir aber auch gemacht: Wer unsere Werte nicht teilt, kann keinen deutschen Pass bekommen. Hier haben wir eine glasklare rote Linie gezogen und das Gesetz viel strenger gefasst als bisher. Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Menschenverachtung schließen eine Einbürgerung aus. Da gibt es keinerlei Toleranz.

Über das Staatsangehörigkeitsrecht sind in der Vergangenheit viele Debatten geführt worden, die von Ausgrenzung und Stimmungsmache geprägt waren. Diese Debatten fanden statt auf dem Rücken von Menschen, die seit vielen Jahren in Deutschland leben und arbeiten, aber nie ganz dazugehören konnten. Diese Reform zeigt ihnen: Ihr gehört zu Deutschland."

Kernpunkte des neuen Staatsangehörigkeitsrechts:

  • Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts wird in Deutschland Mehrstaatigkeit zugelassen. Für die Einbürgerung gelten künftig klare und nachvollziehbare Regeln: Nachgewiesen werden müssen unter anderem eine gelungene Integration, gute Deutschkenntnisse sowie die eigenständige Sicherung des Lebensunterhaltes.

  • Eine Einbürgerung ist künftig in der Regel nach fünf statt wie bisher nach acht Jahren möglich. Für Menschen, die sich besonders gut integriert haben, ist eine Einbürgerung bereits nach drei Jahren möglich. Das gilt zum Beispiel, wenn sie im Job herausragende Leistungen erzielen oder sich ehrenamtlich engagieren, sehr gut Deutsch sprechen und den Lebensunterhalt für sich und ihre Familie eigenständig bestreiten können.

  • Alle in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern erhalten nun die deutsche Staatsangehörigkeit und können die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern behalten, wenn mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf (statt bisher acht) Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt. Die Optionsregelung entfällt.

  • Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands: Wer in Deutschland eingebürgert werden will, muss sich zu den Werten einer freiheitlichen Gesellschaft bekennen. Dazu gehören insbesondere die Würde und Gleichheit aller Menschen. Wer diese Werte nicht teilt oder ihnen gar zuwiderhandelt, darf nicht deutscher Staatsangehöriger werden. Hierzu wird klargestellt, dass antisemitische, rassistische oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes unvereinbar sind. Einbürgerungsbewerber müssen sich künftig auch zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens, bekennen. Ein unrichtiges Bekenntnis schließt jede Einbürgerung strikt aus.

  • Erweiterter Einbürgerungstest: Als Reaktion auf den zunehmenden Antisemitismus in Deutschland wurde auch der Fragenkatalog des Einbürgerungstests erweitert. Zu den Themen Antisemitismus, Existenzrecht des Staates Israel und jüdisches Leben in Deutschland wurden neue Prüfungsfragen aufgenommen.

  • Konkrete Ausschlussgründe: Ausgeschlossen ist eine Einbürgerung im Fall einer Mehrehe oder wenn der Ausländer durch sein Verhalten zeigt, dass er die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet.

  • Sicherung des Lebensunterhalts: Für einen Anspruch aufEinbürgerung muss der Lebensunterhalt für sich und die eigenen Familienangehörigen grundsätzlich ohne Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch bestritten werden können. Die Ausnahmen von diesem Erfordernis sind auf ausdrücklich benannte Fälle beschränkt. Sie gelten u.a. für sogenannte Gastarbeiter, die bis 1974 in die Bundesrepublik eingereist sind, und sogenannte Vertragsarbeiter, die bis 1990 in die ehemalige DDR eingereist sind, bei für die letzten zwei Jahre nachgewiesener Vollzeiterwerbstätigkeit von mindestens 20 Monaten und für Familien mit einem minderjährigen Kind, wenn ein Ehegatte oder eingetragener Lebenspartner in Vollzeit erwerbstätig ist.

    Für
    vulnerable Personengruppen, die ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht vollständig sichern können und nicht unter eine der gesetzlich bestimmten Ausnahmeregelungen fallen, besteht die Möglichkeit einer Ermessenseinbürgerung. Dies gilt dann, wenn sie alles Mögliche und Zumutbare getan haben, um ihren Lebensunterhalt zu sichern und dennoch, auf öffentliche Leistungen angewiesen sind.

  • Weitere Erleichterungen für die Gastarbeitergeneration: Gast- und Vertragsarbeiter haben einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung Deutschlands geleistet. Sie haben aber in der Vergangenheit kaum Integrationsangebote erhalten. Als Sprachnachweis genügt daher nun, dass sie sich im Alltag auf Deutsch ohne nennenswerte Probleme mündlich verständigen können. Auf den Einbürgerungstest wird verzichtet.

  • Digitale Sicherheitsabfrage: Das Verfahren der Sicherheitsabfrage wird digitalisiert und beschleunigt sowie zusätzliche Sicherheitsbehörden einbezogen, damit die Staatsangehörigkeitsbehörden die Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden erhalten.

  • Öffentliche Einbürgerungsfeiern: Die Einbürgerung ist für alle Beteiligten ein Grund zum Feiern. Das Staatsangehörigkeitsgesetz sieht deshalb vor, dass die Einbürgerungsurkunde nach Möglichkeit in einem feierlichen Rahmen in einer öffentlichen Einbürgerungsfeier ausgehändigt werden soll.