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Dienstag, 2. Mai 2017

Auschwitz-Prozess in Neubrandenburg verzögert

Erinnern Sie sich an das Schicksal von Anne Frank? Die Familie von Anne ist vor den Nazis in die Niederlande geflohen. Doch ihr Versteck in Amsterdam, in dem Anne ihr später weltberühmtes Tagebuch schrieb, wurde verraten. Die Familie wurde verhaftet und nach Auschwitz verschleppt.

Einer der letzten Auschwitz-Prozesse ist aktuell am Landgericht Neubrandenburg anhängig. Es ist zugleich der erste Prozess zur Deportation der Familie Frank. Angeklagt ist Hubert Zafke, der damals als SS-Mann im Vernichtungslager Auschwitz war. Ihm wird vorgeworfen, in mindestens 3.861 Fällen Beihilfe zum Mord geleistet zu haben.

Der Angeklagte zeigt keine Reue. Und behauptet sogar, er habe nichts gewusst. Dass Auschwitz eine Mordfabrik war, konnte ihm beim Anblick der ausgezehrten Häftlinge, Gaskammern und Krematorien aber nicht verborgen geblieben sein.

Was hat Hubert Zafke, der auch in Dachau, Neuengamme, Sachsenhausen und Groß-Rosen eingesetzt war, als Sanitätsdienstgrad und Angehöriger der SS-Sanitätsstaffel im KZ Auschwitz-Birkenau getan, gehört und gesehen? Was weiß er über sogenannte SS-Sanitäter zu berichten, die kranken Häftlingen tödliche Injektionen verabreichten und Zyklon B in die Gaskammern schütteten? Darauf etwa könnte der Prozess in Neubrandenburg Antworten geben. 


Doch das Landgericht Neubrandenburg zeigt kein Interesse, den Fall zu verhandeln und verzögert das Verfahren. 

Mindestens 14 Deportationszüge trafen ein, während Zafke in Auschwitz war. Mit dem Transport, in dem Anne Frank war, wurden über tausend Menschen deportiert. Alle Kinder unter 15 Jahren wurden direkt nach der Ankunft ermordet. Unter ihnen waren die 7-jährige Mirjam Katz und die 8-jährige Ursula Gerson. Auch ihre Familien hatten in den Niederlanden Zuflucht gesucht. Anne Frank und ihre Schwester Margot starben kurz vor Ende des Krieges, krank und völlig ausgezehrt, im Konzentrationslager Bergen-Belsen.

Jahrzehnte blieben die Täter von damals weitgehend ungestraft. Nun droht auch der Prozess gegen Hubert Zafke zu scheitern.
Auschwitz-Überlebenden begegnen die Richter der Schwurgerichtskammer mit Missachtung: Zwei Nebenkläger, die durch das Strafverfahren Gerechtigkeit für ihre in Auschwitz ermordete Mutter erwarteten, versuchte man aus dem Verfahren zu werfen.

Zahlreiche Befangenheitsanträge wurden vom Gericht als unbegründet zurückgewiesen. Inzwischen wurde Strafanzeige wegen Rechtsbeugung erstattet!

Wir fordern, den Prozess gegen Hubert Zafke unverzüglich neu zu eröffnen und endlich zu verhandeln! Die Hoffnung, dass in diesem Verfahren noch ein Urteil gesprochen wird und den Opfern und ihren Angehörigen damit ein Stück weit Gerechtigkeit zuteil wird, geben wir nicht auf.

Ein OFFENER BRIEF von Holocaust-Überlebenden und Akteuren aus Bildung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft wurde in nur drei Wochen von mehr als 15.000 Menschen unterstützt.


Hochachtungsvoll

Roman Guski, 
Context. Bausteine für historische und politische Bildung e.V.
Dr. Constanze Jaiser, 
Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V.



Unterstützen Sie diesen Offenen Brief mit Ihrer Unterschrift?

Sonntag, 5. Juli 2015

Sinn und Unsinn von Täterverurteilung 70 bis 80 Jahre nach dem III. Reich


(SV) Ein 94-Jähriger berichtet über seine Mittäterschaft in der extremen Menschenverfolgung des Nazireiches. Als Ausführender trifft ihn eine große Mitschuld wie alle anderen Rädchen im Getriebe, die die Türen zu den Gaskammern, den Deportationslagern und -zügen öffneten, die Kleider, Geld, Schmuck- und Wertgegenstände beschlagnahmten, folterten und töteten, Verlegungen unterschrieben, Tötungen anordneten.

Seine Entschuldigung über die Medien wirkt fast wie eine inszenierte symbolische Reinwaschung der eigentlichen Drahtzieher. Die wenigen Todesstrafen und Gefängnisstrafen für die oberen Entscheider wiegen im Grunde genommen wenig auf der Waagschale der Gerechtigkeit. Schlüpften viele der eigentlichen Verursacher und Träger später in hohe und höchste Ämter, sammelt das öffentliche Gerechtigkeitsbedürfnis selbst 70-80 Jahre später die letzten größeren Knechte des Regimes ein, um sie kurz vorm Tod noch scheinbar zu richten. Als ob das Verursacherprinzip einfach verschoben werden würde.


Ist jeder Schuld, der in einer Diktatur mitmacht als Ausführender? Hatte er denn das Recht zu verweigern überhaupt gehabt? Was, wenn er sofortigen Einhalt geboten hätte, sich geweigert hätte? Wäre da nicht vom Kommandant des Auschwitzer Konzentrationslagers sofortige Festnahme, Inhaftierung und ggf. Erschießung angeordnet worden? Hätte er das tun müssen, um unschuldiger zu sein? Er konnte sich gar nicht mehr so schnell zurückziehen, einmal dabei. Kein Wort davon, dass er Tötungen überwacht, eingeleitet oder durchgeführt hätte. Das Lagerkommando und die obersten Offiziere sind hier erst einmal zur Verantwortung zu ziehen, was ja auch zum Teil passiert ist. Kann ein SS-Unterscharführer, niedrigster Unteroffizier in der SS, als Führer einer "Schar" von ca. 8 bis 20 Soldaten so verantwortlich sein?

Am 15.07.2015 wurde im Lüneburger Auschwitz-Prozess der frühere SS-Mann Oskar Gröning zu vier Jahren Haft verurteilt. Der 94-Jährige habe sich der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen schuldig gemacht, urteilte das Gericht.

Es wurde in der gesamten Berichterstattung nicht klar, wie diese Zahl ihm angelastet werden konnte. Der sog. "Buchhalter von Auschwitz" soll im Frühjahr 1944 Spuren der Massentötung an ungarischen Juden verwischt haben, indem er half, an der Bahnrampe des nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau Gepäck der dorthin verschleppten Menschen wegzuschaffen. Gröning arbeitete damals in der sogenannten Abteilung für Häftlingsgeldverwaltung und leitete in dieser Funktion auch das den Opfern abgenommene Bargeld nach Berlin weiter. 

Und all die anderen, die solcher Art involviert waren? Es ruft Verwunderung hervor, auch wenn die Überlebenden und Kläger es nie vergessen werden, wie sie von der SS mit Gröning nach der Ankunft (und schon zuvor) ausgeraubt wurden. Sie wollten Genugtuung, es steht Ihnen auch voll und ganz zu. Dennoch von einer Schuldübertragung in 300.000 Fällen zu sprechen? Aber man tut sich schwer, ihn auf einem Level mit Demjanuks und Mengeles zu sehen.

Sehr interessante Darstellung in der ZEIT:

Oskar Gröning und die Beihilfe
von Thomas Fischer, Bundesrichter in Karlsruhe


http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-07/ns-verbrecher-beihilfe-taeter-strafrecht-justiz-fischer-im-recht