Freitag, 4. Oktober 2024

Alles Geschichte? Der Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation aus dem Jahr 2011

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Gesellschaftsvertrag für eine Große
Transformation

Klimaverträgliches Wirtschaften und nachhaltige Entwicklung

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) übergibt heute [das war 2011] sein neues Hauptgutachten „Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“, an Bundesforschungsministerin Annette Schavan und Bundesumweltminister Norbert Röttgen.


Der WBGU begründet in diesem Bericht die dringende Notwendigkeit einer post-fossilnuklearen Wirtschaftsweise, zeigt zugleich die Machbarkeit der Wende zur Nachhaltigkeit auf und präsentiert zehn konkrete Maßnahmenbündel zur Beschleunigung des erforderlichen Umbaus. Damit die Transformation tatsächlich gelingen kann, muss ein Gesellschaftsvertrag zur Innovation durch einen neuartigen Diskurs zwischen Regierungen und Bürgern innerhalb und außerhalb der Grenzen des Nationalstaats geschlossen werden. Nur mit einem tiefen gemeinsamen Verständnis von klimaverträglicher Wertschöpfung und nachhaltiger Entwicklung lässt sich die globale Krise der Moderne überwinden. Mit dem Gutachten zeigt der WBGU Perspektiven für die Zukunft nachhaltigen Wirtschaftens auf, die nach dem atomaren Desaster von Fukushima erst Recht auf der Agenda der nationalen und internationalen Politik stehen müssen.

Eine Zukunft ohne Nuklearenergie


Nach Einschätzung des WBGU ist anspruchsvoller globaler Klimaschutz auch ohne Kernenergie möglich. Dies zeigen nicht zuletzt die Analysen des WBGU in seinem neuesten Gutachten. Im Zentrum jeder Dekarbonisierungsstrategie muss der massive Ausbau der erneuerbaren Energien und der dafür erforderlichen Infrastruktur stehen. Die Energiewende zur Nachhaltigkeit kann jedoch nur dann gelingen, wenn zugleich die gewaltigen Potenziale zur Effizienzsteigerung ausgeschöpft werden und die Änderung verschwenderischer Lebensstile, insbesondere in den Industrie- und Schwellenländern, kein Tabu mehr sind.
In einer Reihe von Ländern ist derzeit ein Ausbau der Kernenergie geplant. Davon rät der WBGU dringend ab, insbesondere wegen der nicht vernachlässigbaren Risiken schwerster Schadensfälle, der ungeklärten Endlagerungsproblematik und dem Risiko unkontrollierter Proliferation. Bestehende Kapazitäten sollten so rasch wie möglich durch nachhaltige Energietechnologien ersetzt und bei erkennbaren Sicherheitsmängeln umgehend stillgelegt werden. Der Ausstieg aus der Kernenergie darf aber nicht durch den Wiedereinstieg oder die Verstärkung von Energieerzeugung aus Braun- und Steinkohle kompensiert werden.


Blockaden überwinden und Wandel beschleunigen


Soll die Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft gelingen, müssen wir nicht nur das Innovationstempo forcieren, sondern auch aufhören, den Wandel zu blockieren. Das ist eine der zentralen Botschaften des WBGU. Eine zureichende Investitionsdynamik für eine zukunftsfähige Weltwirtschaft kann sich nur dann entfalten, wenn Subventionen für fossile Energieträger abgebaut werden, die weltweit im hohen dreistelligen Milliardenbereich liegen. Zudem müssen die externen Kosten des kohlenstoffbasierten Wachstums berücksichtigt werden, um Preissignale und dadurch Anreize für klimafreundliche Unternehmungen zu setzen.
Klimaschutz ist unbestritten eine notwendige Grundbedingung für eine global nachhaltige Entwicklung. Der WBGU hat mehrfach aufgezeigt, dass die Weichen für die weltweite Dekarbonisierung noch in diesem Jahrzehnt gestellt werden müssen. Nachhaltige Entwicklung bedeutet aber mehr als Klimaschutz, denn die Lebensgrundlagen der Menschheit umfassen viele weitere Naturgüter wie fruchtbare Böden und biologische Vielfalt.


Neuer Gesellschaftsvertrag


Die Transformation zur nachhaltigen Gesellschaft erfordert einen modernen Orientierungsrahmen für ein „gutes Zusammenleben“ von bald neun Milliarden Menschen mit sich und der Natur - einen neuen „Contrat Social“. Ein solcher, weitgehend virtueller Gesellschaftsvertrag beruht nicht zuletzt auf dem Selbstverständnis jedes Einzelnen als verantwortungsbewusstem Erdenbürger. Dieser Kontrakt wird auch zwischen Generationen geschlossen. Die Wissenschaft spielt hierbei eine essentielle Rolle, da ein tiefgreifender Wandel in historisch einmaliger Weise nicht aus unmittelbarem Zwang, sondern vorsorglich und aus wohlbegründeter Einsicht erfolgen muss. Insofern umfasst dieser Gesellschaftsvertrag auch eine besondere Übereinkunft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft; dies ist eine weitere zentrale Botschaft des WBGU.
Ebenso geht es um eine neue Kultur demokratischer Teilhabe. Dafür werden im Gutachten zahlreiche Möglichkeiten vorgeschlagen, beispielsweise die Ernennung von Ombudsleuten zur Wahrung von Zukunftsinteressen. Mit der Aufnahme eines Staatsziels „Klimaschutz“ im Grundgesetz und einem Klimaschutzgesetz kann diese Nachhaltigkeitsorientierung konkret abgesichert werden. Der WBGU macht auch deutlich, dass eine klimaverträgliche Transformation nur erfolgreich sein kann, wenn sie in vielen Regionen der Welt zugleich vorangetrieben wird. Der Gesellschaftsvertrag umfasst daher auch neue Formen globaler Willensbildung und Kooperationen jenseits des Nationalstaats. In diesem Kontext empfiehlt der WBGU unter anderem die Schaffung eines dem Weltsicherheitsrat ebenbürtigen Rates für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und die Bildung von Klima-Allianzen zwischen Staaten, Städten und Unternehmen.


Zehn Maßnahmenbündel


Der Ausstoß von Treibhausgasen erfolgt überwiegend durch die Energiewirtschaft und die Landnutzung, wobei die dramatische globale Urbanisierung eine entscheidende Rolle spielt. Damit sind drei zentrale Transformationsfelder benannt, wo Strategien zur Senkung von Emissionen schnell und umfassend greifen müssen. In diesem Zusammenhang empfiehlt der WBGU detailliert beschriebene Maßnahmenbündel, die besonders für die Beschleunigung und Verbreiterung des Übergangs zur Nachhaltigkeit geeignet sind:

  1. Um eine Dekarbonisierung weltweit voranzutreiben, sollte der Staat seine Rolle als Gestalter bewusst wahrnehmen. Dies ist jedoch nur zu legitimieren, wenn gleichzeitig den Bürgerinnen und Bürgern bessere Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden.
  2. Das Treibhausgas CO2 sollte möglichst rasch und global mit einem angemessenen Preis belegt werden.
  3. Eine europäische Energiepolitik, die auf eine vollständige Klimaverträglichkeit des Energiesystems bis spätestens 2050 zielt, sollte schleunigst entwickelt und umgesetzt werden. Sie muss Partnerschaften mit Nordafrika gezielt fördern.
  4. Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien sollten weltweit eingeführt werden.
  5. Entwicklungspolitik sollte insbesondere darauf zielen, dass die 2,5 bis 3 Mrd. Menschen, die heute in Energiearmut leben, Zugang zu nachhaltigen Energien bekommen.
  6. Große Anstrengungen sollten unternommen werden, um die sich beschleunigende weltweite Urbanisierung nachhaltig zu gestalten.
  7. Die Landnutzung sollte klimaverträglich gestaltet werden, insbesondere die Agrikultur und die Waldwirtschaft.
  8. Zur Finanzierung der Transformation und der erforderlichen massiven Investitionen sollten verstärkt neue Geschäftsmodelle herangezogen werden, die helfen, vorhandene Investitionsbarrieren abzubauen.
  9. In der internationalen Klimapolitik sollte weiterhin auf ein ambitioniertes globales Abkommen hingearbeitet werden. Zugleich muss die multilaterale Energiepolitik die weltweite Verbreitung klimaverträglicher Technologien fördern.
  10. Die Vereinten Nationen sollten in die Lage versetzt werden, wirksame Beiträge zur Transformation zu leisten. Entwicklungsorganisationen sollten zu Transformationsagenturen für Nachhaltigkeit umgebaut werden. Die G 20 sollten einen Fahrplan für wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Grenzen des planetarischen Systems erarbeiten. Die Rio+20-Konferenz im Jahr 2012 bietet eine einmalige Gelegenheit, um weltweit die Weichen in Richtung Klimaverträglichkeit zu stellen.

Wissen und Gesellschaft


Trotz der breit akzeptierten Ziele und der bereits verfügbaren zukunftsfähigen Technologien ist die Transformation ein gesellschaftlicher Suchprozess. Forschung und Bildung kommt die Aufgabe zu, gemeinsam mit Politik und Bürgerschaft nachhaltige Visionen zu entwickeln, geeignete Entwicklungspfade zu identifizieren sowie klimaverträgliche und ressourcenschonende Innovationen zu verwirklichen. Aus diesem Grund empfiehlt der WBGU, die Forschung national und international stärker auf die Große Transformation auszurichten und die dafür notwendigen Mittel bereit zu stellen. Die relevanten wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen überdies jedermann zugänglich und verständlich gemacht werden, damit die Menschen den Wandel akzeptieren und demokratisch mitgestalten können.


Hauptschauplätze der Transformation


Speziell beim Aufbau klimaverträglicher Energiesysteme besteht die Herausforderung darin, die Energiearmut in den Entwicklungsländern zu beenden und gleichzeitig die globalen CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler Energieträger rasch und drastisch zu mindern. Damit dies gelingt, darf die globale Endenergienachfrage nur noch unwesentlich steigen – sie liegt heute bei etwa 350 Exajoule (EJ) pro Jahr und sollte 2050 nicht mehr als 400–500 EJ pro Jahr betragen. Effizienzverbesserungen und Lebensstiländerungen sind daher in vielen Alltagsbereichen erforderlich. Aufgrund der großen Energienachfrage in Städten bildet die rasche Urbanisierung einen besonderen Brennpunkt. Für den Aufbau klimaverträglicher Energiesysteme gibt es aus technologischer Sicht verschiedene realistische Möglichkeiten. Der WBGU empfiehlt eine Strategie, die primär auf den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien setzt. Der WBGU rät von einem Ausbau der Kernenergienutzung ab. CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) ist dagegen eine notwendige Klimaschutzoption für Länder, die übergangsweise weiterhin fossile Energien einsetzen. CO2-Sequestrierung könnte später auch eine wichtige Technologie darstellen, der Atmosphäre aktiv CO2 zu entziehen. In der Landnutzung liegt das Hauptaugenmerk auf der raschen Beendigung von Waldrodung und Walddegradation sowie auf der Förderung von klimaverträglicher Landwirtschaft und Ernährung. Der WBGU zeigt, dass die Kosten der Transformation signifikant gesenkt werden können, wenn in Europa gemeinsame Dekarbonisierungsstrategien umgesetzt werden. Auch stellt die Transformation für Europa eine große Chance dar, innovationsgetriebene Beiträge zu einer zukunftsfähigen Globalisierung zu leisten.




Montag, 30. September 2024

Süßwassermangel: Was Usbekistan versucht

(VLADIMIR NOROV, Ehemaliger Außenminister von Usbekistan) 

Usbekistan hat wichtige
Usbekistan und USA kooperieren in der Landwirtschaft
Projekte auf den Weg gebracht, um in den nächsten fünf Jahren 15 Milliarden Kubikmeter Wasser einzusparen, indem die Effizienz der Wassernutzung um 25 % gesteigert wird, so Präsident Mirzieev. Er schlug vor, in Zusammenarbeit mit der AIIB ein regionales Zentrum für die Einführung von wassersparenden Technologien zu schaffen.

Im April 2023 stellte der erste stellvertretende Leiter des Ministeriums für Wasserwirtschaft fest, dass dem Land bis 2030 7 Milliarden Kubikmeter Wasser fehlen werden (25 % des derzeitigen Volumens). Der BCG-Partner schätzte die Kosten für Initiativen zur Wassereinsparung in Usbekistan auf 10 Milliarden Dollar. Ihm zufolge muss der Staat die Kosten richtig priorisieren. Heute leben in Zentralasien mehr als 80 Millionen Menschen. Es wird erwartet, dass das BIP der Region in den nächsten fünf Jahren 700 Milliarden Dollar erreichen wird.

In Usbekistan werden mehr als 90 % des Süßwassers in der Landwirtschaft verbraucht. Dies liegt weit über dem weltweiten Durchschnitt. Steigende Tarife für Trinkwasser in Usbekistan, die Verringerung der Reisanbauflächen in Karakalpakstan und die Einstellung der Bewässerungswasserversorgung von Kirgisistan nach Kasachstan deuten auf eine sich verschärfende Wasserkrise in Zentralasien hin.

In der neuen EDB-Studie „Regulierung des Wasser- und Energiekomplexes in Zentralasien“ schlagen die Experten auf der Grundlage historischer und internationaler Erfahrungen fünf mögliche institutionelle Lösungen vor, die den Interessen aller Staaten in der Region gerecht werden. Der Bericht schlägt insbesondere die Organisation von Projektkonsortien für den schnelleren Bau und den effizienten Betrieb großer Wasserbauprojekte vor und begründet ein Modell für die Einbindung eines finanziellen Betreibers in die Prozesse zur Regulierung des zentralasiatischen Wasser- und Energiekomplexes.

Nach vorläufigen Schätzungen der EDB könnten sich die positiven Auswirkungen auf das zentralasiatische BIP über einen Zeitraum von fünf Jahren auf 7 % des BIP der Region belaufen, d. h. auf 22 Mrd. USD, wenn die Ineffizienz des Energiesektors beseitigt wird. Die Wirtschaftswachstumsraten der zentralasiatischen Länder werden in fünf Jahren um 1,5 Prozentpunkte steigen (verglichen mit dem Szenario der trägen Entwicklung).

Längerfristig (bis 2050) könnte nach Schätzungen der Weltbank die Differenz zwischen den Kosten eines trägen Szenarios und den Vorteilen eines Szenarios mit verstärkter Zusammenarbeit im zentralasiatischen Wirtschaftssektor 20 % des BIP erreichen.


Donnerstag, 26. September 2024

Aufpassen beim Mineralwasser-Kauf! Experten raten dringend vom Konsum dieser Sorten ab!


Rückruf von Mineralwasser: Hier große Übersicht mit betroffenen Produkten

Der Hersteller Refresco Deutschland GmbH ruft aus Gründen des vorbeugenden Verbraucherschutzes vorsorglich Produkte zurück. Eine ernste Gefahr geht wohl nicht von den Mineralwässern aus. Sie sind offenbar nur ungenießbar. Der Unterschied ist nicht ganz klar. Laut „Produktwarnung.eu“ sind beispielsweise folgende Produkte betroffen: Penny Mineralwasser in den Größen 0,5 Liter und 1,5 Liter mit dem Aufdruck „Fontane-Brunnen“, Norma Surf-Mineralwasser (1,5 Liter) mit dem Label „Fürstenbrunn“, sowie Rewe „ja!“-Mineralwasser (0,5 Liter und 1,5 Liter) ebenfalls mit dem Aufdruck „Fontane-Brunnen“.

Insbesondere das Penny-Mineralwasser in den Varianten still, medium und classic mit Mindesthaltbarkeitsdaten von Mai und Juni 2025 sind betroffen. Hier eine ausführliche Liste mit den betroffenen Mineralwasser-Produkten:

  • Penny Mineralwasser 0,5 Liter still Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 29.05.2025

  • Penny Mineralwasser 0,5 Liter medium Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 21.03.2025

  • Penny Mineralwasser 0,5 Liter classic Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 02.04.2025

  • Penny Mineralwasser 1,5 Liter still Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 29.05.2025

  • Penny Mineralwasser 1,5 Liter medium Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 30.05.2025

  • Penny Mineralwasser 1,5 Liter classic Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 10.05.2025

  • Norma Surf Mineralwasser 1,5 Liter still Fürstenbrunn

    MHD 14.03.2025 und 15.03.25

  • Norma Surf Mineralwasser 1,5 Liter medium Fürstenbrunn

    MHD 28.03.2025, 29.03.2025 und 30.03.25

  • Ja! Mineralwasser 0,5 Liter still Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 05.06.2025

  • Ja! Mineralwasser 0,5 Liter medium Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 28.03.2025

  • Ja! Mineralwasser 0,5 Liter classic Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 29.03.2025

  • Ja! Mineralwasser 1,5 Liter still Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 03.06.2025

  • Ja! Mineralwasser 1,5 Liter medium Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 05.06.2025

  • Ja! Mineralwasser 1,5 Liter classic Fontane-Brunnen

    MHD bis einschließlich 04.06.2025

Der Hersteller weist eindringlich darauf hin, vom Konsum dieser Produkte abzusehen und rät den Kundinnen und Kunden, die Waren in die jeweiligen Verkaufsstellen zurückzubringen. Die betroffenen Mineralwasser-Produkte sind aktuell bereits aus dem Sortiment genommen worden.

Warum klappt das Wachstum in Deutschland nicht?











Thomas Obst, Senior Economist beim Institut der deutschen Wirtschaft, macht darauf aufmerksam, dass Deutschland seit zwei Jahren nicht in die Gänge kommt. Während Frankreich und Italien wachsen, schrumpft die Wirtschaft in Deutschland. Deutschland bleibt damit auch in diesem Jahr das Problemkind der Eurozone.

Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im zweiten Quartal 2024 lediglich auf dem Niveau des vierten Quartals 2019, also vor den großen Belastungen, die mit der Corona-Pandemie einhergingen. Insgesamt gab es einfach keinen nachhaltigen Aufholeffekt wie etwa in den USA oder anderen europäischen Ländern.
 
Thomas Obst diskutierte die aktuelle Lage der deutschen Wirtschaft Anfang August im ARD Hauptstadtstudio mit Herrn Strempel im Morgenmagazin: 





Es herrscht einerseits eine Wirtschaftspolitik, die nicht für Stabilität sorgt. Problematisch ist vor allem, dass der Kurs für den Strukturwandel in Deutschland nicht klar ist. Die grüne Transformation ist zu überladen mit sozialen und ökologischen Zielen.

Dann führen die riesigen Differenzen in der Ampel-Regierung zum politischen Stillstand. Statt ständig die Folgen der großen geopolitischen Verwerfungen und exogenen Energiepreisschocks für die deutsche Wirtschaft zu rezitieren, sollte die Regierung die richtigen Rahmenbedingungen setzen.

Obwohl die Nettozuwanderung stark gestiegen ist und damit auch das Erwerbspersonenpotenzial grundsätzlich ansteigt, sehen wir schließlich die negativen Folgen einer anhaltenden Stagnation mittlerweile auch am deutschen Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit ist auf mehr als 6 Prozent gestiegen.

Grundsätzlich bleibt hier festzuhalten, dass Länder wie Italien, Spanien oder Frankreich seit mittlerweile drei Jahren deutlich dynamischer wachsen als Deutschland. Die Weltwirtschaft wächst in diesem Jahr zwar nur gedämpft, aber doch mit 2,5 Prozent. In Deutschland bleibt es beim Nullwachstum. Obst kommt zum Schluss, dass es sich nicht nur um eine momentane, aber hausgemachte Flaute handelt.

Montag, 23. September 2024

Was bedeutet der Einmarsch in Kursk für den Frieden in der Ukraine?




Von Jack Watling am 27. August 2024, Wilson Center

Am 6. August startete die Ukraine eine Überraschungsoffensive in der russischen Region Kursk und überraschte damit die russischen Streitkräfte. Mit der Operation werden zwei Ziele verfolgt: Die internationalen Partner der Ukraine sollen davon überzeugt werden, dass eine Niederlage nicht unvermeidlich ist, und für den Fall, dass die Ukraine zu Verhandlungen gezwungen wird, soll im Vorfeld der Gespräche ein Druckmittel aufgebaut werden. Keines der beiden Ergebnisse ist sicher.

Nachdem die ukrainischen Streitkräfte im Donbass monatelang zurückgedrängt wurden und sich die Meinung durchsetzte, dass die russischen Vorstöße - auch wenn sie bisher nur langsam vorankamen - unumkehrbar seien, haben die raschen ukrainischen Vorstöße in Kursk das Blatt gewendet. Der Angriff zeigt, dass gut getimte und geplante Angriffe die russischen Streitkräfte stören können, deren mangelnder Zusammenhalt wieder einmal dazu geführt hat, dass sich Einheiten auf einem dynamischen Schlachtfeld ergeben haben. Die Tatsache, dass es der Ukraine gelungen ist, die operative Sicherheit vor dem Angriff aufrechtzuerhalten, zeigt auch, dass die Lehren aus dem Scheitern der ukrainischen Sommeroffensive 2023 gezogen wurden.

Erwähnenswert ist auch, dass die Ukraine nicht nur Bodenoperationen durchführte, sondern auch eine Reihe russischer Flugplätze erfolgreich angriff und dabei Flugzeuge beschädigte, die die kritische nationale Infrastruktur der Ukraine mit Luftabwehrraketen bombardierten, sowie Gleitbomben mit verheerender Wirkung auf ukrainische Frontstellungen abwarf.

Politisch hofft die Ukraine, dass sie, wenn sie gezwungen ist, mit Russland zu verhandeln, nachdem die militärisch-technische Hilfe der USA unter einer künftigen Regierung möglicherweise eingestellt wird, etwas in der Hand hat, das Russland zurückbekommen muss, und somit ein Druckmittel hat, um Zugeständnisse zu erreichen. Das bedeutet, dass die Ukraine russisches Territorium nicht nur einnehmen, sondern auch über einen längeren Zeitraum hinweg halten muss.

Die Kursk-Operation setzt die Ukraine jedoch erheblichen militärischen Risiken aus. Der Ukraine fehlten Truppen und sie hatte vor dieser Operation Mühe, ihre Ostfront zu halten. Der Einsatz ihrer operativen Reserve bedeutet, dass sie noch stärker beansprucht werden wird. Der russische Vormarsch im Donbass geht weiter, und es droht die Entvölkerung von Pokrowk, Toretsk und mehreren anderen Städten.

Außerdem ist nicht klar, ob die Ukraine in der Lage sein wird, das, was sie erobert hat, zu halten. Wenn die Ukraine erst einmal fest steht und anfängt, sich einzugraben, wird Russland seine Artillerie, seine Komplexe zur elektronischen Kriegsführung, seine Luftabwehr, seine Gleitbomben und seine operativ-taktischen Raketenkomplexe aufstellen, um die Ukraine in die gleichen Schwierigkeiten zu bringen, mit denen sie anderswo konfrontiert ist, nur mit weniger Reserven. Wenn Präsident Wladimir Putin glaubt, den Einmarsch im Laufe der Gespräche zurückdrängen zu können, bietet die Kursk-Operation kein Druckmittel für die Verhandlungen.

Ein weiterer kritischer Punkt ist, dass die Ukraine selbst dann, wenn sie (nach den US-Präsidentschaftswahlen) die militärisch-technische Unterstützung der USA für die Ukraine fortsetzt, die meisten ihrer Optionen für eine Offensive im Jahr 2025 ausgeschöpft haben wird. Neue Ausrüstung hätte auf den vorhandenen Kräften aufbauen können. Jetzt werden die knappen Ausrüstungen und Einheiten aufgebraucht sein. Kiew wird also im nächsten Jahr die Initiative aufgeben; es hat sein Spiel jetzt gemacht.

Damit bleiben Kiew zwei Möglichkeiten: frühe oder späte Verhandlungen. Die Gefahr liegt in der mittleren Variante. Die militärischen Vorteile Russlands werden bis Anfang 2025 weiter zunehmen. Danach wird die Kampfkraft des russischen Militärs wahrscheinlich bis Ende 2025 und 2026 abnehmen. Wenn die Ukraine bis dahin durchhält, könnte es möglich sein, den Konflikt auf unbestimmte Zeit auszudehnen, wodurch Kiew in den Verhandlungen an Einfluss gewinnen würde. Die Kursk-Operation wird es schwieriger machen, den Kampf bis zu diesem Punkt aufrechtzuerhalten. Kommt es dagegen zu frühen Verhandlungen, wird der Kreml wahrscheinlich versuchen, die Gespräche langsam voranzutreiben und die militärische Lage vor Ort verschlechtern, um seinen Einfluss zu vergrößern.

Für die internationalen Partner der Ukraine gibt es drei entscheidende Prioritäten. Erstens wird die Ukraine bei den Gesprächen kein Druckmittel haben, wenn die Front bröckelt. Die Stabilisierung der Front ist von entscheidender Bedeutung. Dafür sind regelmäßige Munitionslieferungen während des gesamten Verhandlungszeitraums von entscheidender Bedeutung. Artilleriemunition und Abfangjäger für die Luftabwehr sind besonders wichtig. Je mehr Schaden den russischen Streitkräften auch in Kursk zugefügt werden kann, desto besser.

Zweitens müssen die internationalen Partner der Ukraine unabhängig davon, ob es sich um lange oder kurze Verhandlungen handelt, überlegen, wie sie das Ergebnis zu einem dauerhaften Frieden machen können. Das bedeutet wahrscheinlich, dass sie Kiew Sicherheitsgarantien anbieten müssen. Ohne diese Garantien wird Russland die Drohung einer Wiederaufnahme der Feindseligkeiten nutzen, um ausländische Investitionen in den Wiederaufbau abzuschrecken, die Ukraine wirtschaftlich zu unterminieren und so viele Möglichkeiten zur Destabilisierung zu haben. Wenn die Kämpfe aufhören, wird es der Ukraine schwer fallen, ihr derzeitiges Mobilisierungsniveau aufrechtzuerhalten, so dass die Gefahr besteht, dass Russland seine mobilisierte Rüstungsindustrie weiterhin dazu nutzt, sich auf einen künftigen Bruch des Waffenstillstands vorzubereiten.

Drittens müssen die Partner der Ukraine die Mobilisierung der europäischen Verteidigungsindustrie verstärken. Wenn die Gespräche schlecht verlaufen, muss Europa bereit sein, Kiew weiterhin zu bewaffnen. Wenn die Gespräche gut verlaufen, wird der europäische Pfeiler der NATO die industrielle Basis benötigen, um eine glaubwürdige Abschreckungsposition zu untermauern. Für die Vereinigten Staaten, die Europa seit langem als Schauplatz für den Verkauf von Verteidigungsgütern betrachten, bedeutet die Notwendigkeit, dass Europa Kapazitäten für die Abschreckung von Bedrohungen im indopazifischen Raum freisetzen muss, dass die europäische Verteidigungsindustrie zum Wachstum ermutigt werden muss.

Die Ukraine steht vor einem harten Winter, ihr Energienetz ist ständigen Angriffen ausgesetzt, die russischen Streitkräfte drängen in den Osten, und es ist nur wenig Material verfügbar, um verlorene Ausrüstung zu ersetzen. Jetzt ist nicht die Zeit, die Unterstützung zurückzuhalten.




Mittwoch, 18. September 2024

Die Rolle der Geologen bei der Eindämmung von Naturgefahren und Katastrophen




(Centre for Education & Research in Geosciences) Geologen spielen eine entscheidende Rolle bei der Bewältigung von Naturgefahren und Katastrophen, indem sie ihr Fachwissen bei der Erforschung der Prozesse und Materialien der Erde einsetzen, um verschiedene Naturkatastrophen zu verstehen, vorherzusagen und abzumildern. Ihre Beiträge sind in folgender Hinsicht besonders wichtig:
 
1.      Gefährdungsbeurteilung

Geologen bewerten die geologischen und ökologischen Faktoren, die zum Auftreten von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Erdrutschen und Tsunamis beitragen. Sie analysieren historische Daten und führen geologische Untersuchungen durch, um gefährdete Gebiete zu ermitteln.

Geologen führen detaillierte Kartierungen der geologischen Merkmale eines Gebiets durch, z. B. der Gesteinsarten, Verwerfungslinien, der Bodenzusammensetzung und historischer Hinweise auf frühere Katastrophen. Diese Informationen helfen bei der Ermittlung von Regionen, die für Naturgefahren anfällig sind.

Für diese Untersuchungen werden in der Regel Feldstudien und Techniken wie Fernerkundung und GIS eingesetzt.

 2.      Risikokartierung

Geologen tragen zu probabilistischen Risikobewertungen bei, indem sie Gefahrendaten mit Informationen über Bevölkerungsdichte, Infrastruktur und wirtschaftliche Faktoren kombinieren, um mögliche Auswirkungen und Verluste durch Naturkatastrophen abzuschätzen.

Geologen erstellen Gefahren- und Risikokarten, die Behörden und Gemeinden dabei helfen, die am stärksten von Katastrophen bedrohten Gebiete zu erkennen. Diese Karten dienen als Leitfaden für die Flächennutzungsplanung, Bebauungsvorschriften und die Entwicklung der Infrastruktur, um die Gefährdung zu verringern.

Übliche Techniken zur Risikobewertung sind die probabilistische seismische Gefährdungsanalyse (PSHA), Multi-Risiko-Modelle, Fragilitätskurven und Vulnerabilitätsmodelle.

3.      Verhinderung von Erdrutschen und Bodenerosion

Geologen identifizieren erdrutschgefährdete Gebiete, indem sie die Hangstabilität, die Bodenzusammensetzung und die geologische Geschichte analysieren. Sie untersuchen Bodeneigenschaften, Hangstabilität und Erosionsmuster, um Strategien zur Verhinderung von Erdrutschen und Bodenerosion zu entwickeln. Sie können Stützmauern, Vegetation oder Änderungen der Flächennutzung empfehlen, um die Risiken zu minimieren.  Ihre Bewertung fließt in die Flächennutzungsplanung und in Maßnahmen zur Verhinderung oder Bewältigung von Erdrutschrisiken ein.

Techniken wie die Analyse der Hangstabilität, geotechnische Untersuchungen (z. B. Bohrungen), LIDAR (Light Detection and Ranging) und hydrologische Modelle werden üblicherweise bei der Bewertung von Erdrutschgefahren eingesetzt.

4.      Überwachung von Vulkanen

Geologen überwachen aktive Vulkane genau, um Anzeichen für bevorstehende Ausbrüche zu erkennen. In vulkanischen Regionen bewerten sie die mit potenziellen Ausbrüchen verbundenen Gefahren wie Lavaströme, pyroklastische Ströme, Aschefall und Lahare (vulkanische Schlammströme). Durch die Analyse von Gasemissionen, Bodenverformungen und seismischer Aktivität können sie den örtlichen Behörden wichtige Informationen für die Evakuierung und das Risikomanagement liefern.

Geologen überwachen die vulkanische Aktivität, indem sie Gasemissionen, seismische Aktivitäten und Bodenverformungen mithilfe von GPS und satellitengestützten Methoden beobachten, um Magmabewegungen unter der Oberfläche zu erkennen. Auch die Tephrochronologie, die Untersuchung vulkanischer Ascheschichten in Sedimentaufzeichnungen zur Bestimmung der Häufigkeit und des Ausmaßes vergangener Ausbrüche, wird ausgiebig genutzt, um Erkenntnisse über künftige Eruptionsmuster zu gewinnen.
Auf der Grundlage ihrer Studien erstellen Geologen Karten der vulkanischen Gefahrenzonen um Vulkane herum, die auf der Nähe zu den Eruptionsquellen und den potenziellen Auswirkungszonen für Lava, Aschefall und pyroklastische Ströme basieren.

5.      Verringerung des seismischen Risikos

In erdbebengefährdeten Regionen bewerten Geologen die seismische Gefährdung, indem sie Verwerfungssysteme identifizieren, die tektonischen Gegebenheiten verstehen und die potenzielle Stärke und Häufigkeit von Erdbeben bestimmen. Außerdem helfen sie in solchen Gebieten bei der Planung von Gebäuden und Infrastrukturen, die seismischen Kräften standhalten können. Sie tragen auch zur Entwicklung von Bauvorschriften und Nachrüstungsrichtlinien bei, um die strukturelle Widerstandsfähigkeit zu verbessern.

Bei der seismischen Gefährdungsbeurteilung werden Seismometer eingesetzt, um seismische Wellen zu erkennen und aufzuzeichnen. Durch die Analyse der Häufigkeit und Verteilung von Erdbeben wird das Potenzial für künftige Ereignisse bewertet.  Außerdem wird die Paläoseismologie oder die Untersuchung der geologischen Zeugnisse vergangener Erdbeben, wie Verwerfungsrisse und verschobene Sedimente, genutzt, um die Wiederholungsintervalle von Erdbeben abzuschätzen.

6.      Küsten- und Tsunami-Management

Geologen analysieren die Küstengeologie und bewerten das Risiko von Tsunamis. Zu diesem Zweck analysieren sie seismische Aktivitäten, unterseeische Erdrutsche und historische Aufzeichnungen über Tsunamis. Diese Informationen werden zur Entwicklung von Küstenschutzmaßnahmen und Evakuierungsplänen für gefährdete Gebiete verwendet. Bei Studien zur Bewertung der Tsunami-Gefahr untersuchen Geologen Sedimentablagerungen, die vergangene Tsunamis hinterlassen haben, um deren Häufigkeit und Ausmaß zu verstehen (Paläo-Tsunami-Studien).

Diese Ablagerungen finden sich häufig im Landesinneren und geben Aufschluss über die Größe und Reichweite früherer Tsunamis. Darüber hinaus werden bathymetrische Untersuchungen durchgeführt, um die Topografie des Meeresbodens zu erforschen und Merkmale wie Unterwasserrutsche oder Verwerfungen zu erkennen, die Tsunamis auslösen könnten.

Auf der Grundlage der oben genannten Daten werden numerische Simulationen verwendet, um die Auswirkungen von Tsunamis auf Küstenregionen zu modellieren und Wellenhöhe, Geschwindigkeit und Überschwemmungszonen vorherzusagen.
 
7.      Bewertung von Hochwassergefahren

Geologen bewerten das Hochwasserrisiko in Gebieten, die für Fluss-, Küsten- oder Sturzfluten anfällig sind. Sie bewerten Faktoren wie Flussläufe, Überschwemmungsgebiete, Bodendurchlässigkeit und historische Hochwasserdaten. Techniken wie die hydrologische Modellierung dienen der Simulation von Niederschlag-Abfluss-Prozessen und der Vorhersage, wie Flüsse und Überschwemmungsgebiete auf starke Regenfälle oder Schneeschmelze reagieren werden.

Durch die Analyse der Topografie grenzen Geologen Gebiete ab, die bei Überschwemmungen wahrscheinlich überflutet werden (Floodplain Mapping), was für die Flächennutzungsplanung und die Entwicklung der Infrastruktur unerlässlich ist. Die Sedimentanalyse oder die Untersuchung von Sedimenten, die von vergangenen Überschwemmungen abgelagert wurden, wird ebenfalls durchgeführt, um die Häufigkeit und das Ausmaß historischer Hochwasserereignisse zu verstehen.

8.Anpassung an den Klimawandel

Geologen spielen eine entscheidende Rolle bei der Anpassung an den Klimawandel, indem sie die Systeme der Erde analysieren, Umweltprozesse verstehen und zu Strategien beitragen, die zur Abschwächung des Klimawandels und zur Anpassung an diesen beitragen.  Sie tragen dazu bei, die Auswirkungen des Klimawandels auf geologische Prozesse wie den Gletscherrückgang, den Anstieg des Meeresspiegels und die Veränderungen der Niederschlagsmuster zu verstehen. Sie liefern Erkenntnisse für Anpassungs- und Minderungsstrategien.

Geologen untersuchen vergangene Klimaereignisse (Paläoklimatologie), um zu verstehen, wie sich das Klima der Erde über Millionen von Jahren entwickelt hat. Diese historische Perspektive hilft bei der Identifizierung von Mustern und Schwellenwerten, die zukünftige Klimaszenarien vorhersagen können. Geologische Aufzeichnungen wie Eiskerne, Baumringe und Sedimentschichten geben Aufschluss über vergangene atmosphärische Bedingungen, die Geologen nutzen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu modellieren.

Techniken wie die Entnahme von Eiskernen und die Analyse von Sedimentkernen werden eingesetzt, um vergangene Klimazonen zu verstehen.   Bei der Eiskernentnahme werden Eiskerne von Gletschern und polaren Eisschilden untersucht, um eingeschlossene Luftblasen zu analysieren, die Informationen über die historische Zusammensetzung und Temperatur der Atmosphäre liefern. Bei der Sedimentkernanalyse werden Sedimentschichten aus Ozeanen und Seen untersucht, die anhand der mineralischen Zusammensetzung und des organischen Gehalts Veränderungen des Klimas aufzeichnen. Diese Schichten helfen Geologen, vergangene Umgebungen zu rekonstruieren und zukünftige Trends vorherzusagen.  Fortgeschrittene Techniken wie die Analyse stabiler Isotope, bei der die Isotopenverhältnisse in geologischen Materialien für paläoklimatische Studien analysiert werden.
 
9.      Frühwarnsysteme (EWS) 

Ziel von Frühwarnsystemen ist es, die Risiken drohender geologischer Ereignisse wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Tsunamis, Erdrutsche und Überschwemmungen zu erkennen, zu bewerten und zu kommunizieren, damit Behörden und Gemeinden rechtzeitig vorbeugende Maßnahmen ergreifen können.

Geologen spielen eine wesentliche Rolle in Frühwarnsystemen für Naturgefahren, indem sie ihr Fachwissen über geophysikalische Prozesse und Technologien einsetzen.

Geologen helfen bei der Entwicklung und Pflege von Frühwarnsystemen für Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis. Durch die Überwachung von seismischer Aktivität, Bodenverformung und anderen geophysikalischen Indikatoren können sie die örtliche Bevölkerung rechtzeitig warnen. 

10. Katastrophenhilfe und Wiederaufbau

Geologen spielen eine wichtige Rolle bei der Katastrophenhilfe und dem Wiederaufbau, indem sie unmittelbare Bedrohungen einschätzen, gefährliche Umgebungen stabilisieren und langfristige Wiederaufbaumaßnahmen erleichtern.

Nach einer geologischen Katastrophe, z. B. einem Erdbeben oder Erdrutsch, bewerten Geologen das Ausmaß der Schäden und ermitteln sekundäre Gefahren. Nach einem Erdbeben bewerten sie beispielsweise die Stabilität von Hängen, ermitteln Gebiete, die durch Nachbeben gefährdet sind, und beurteilen die Verflüssigung des Bodens, die zur weiteren Destabilisierung von Gebäuden führen kann.

Während und nach einer Katastrophe bewerten Geologen die Schäden, überwachen die laufenden Risiken und leiten die Wiederaufbauplanung, um Sicherheit und Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten.  Sie spielen auch eine wichtige Rolle bei den Wiederaufbaumaßnahmen nach einer Katastrophe.  Dazu gehört die Beratung beim Wiederaufbau der Infrastruktur und der Wiederherstellung der Umwelt. 

10. Öffentliche Bildung

Geologen spielen eine wichtige Rolle bei der Aufklärung der Öffentlichkeit über den Umgang mit Naturgefahren, indem sie die Wissenschaft hinter den Naturgefahren entmystifizieren und die Vorsorge fördern. Durch Geodaten-Visualisierungstools, praktische Aktivitäten und die aktive Einbeziehung der Öffentlichkeit helfen Geologen den Gemeinden, ihre Risiken zu verstehen und proaktive Maßnahmen zur Risikominderung zu ergreifen. Indem sie wissenschaftliche Daten in umsetzbare Informationen umwandeln, fördern sie die Widerstandsfähigkeit und befähigen Einzelpersonen und Gemeinschaften, besser mit geologischen Gefahren umzugehen und auf sie zu reagieren. Geologen helfen bei der Förderung von Bereitschafts- und Eindämmungsstrategien, indem sie die Öffentlichkeit über Maßnahmen informieren, die sie ergreifen können, um die mit Naturgefahren verbundenen Risiken zu minimieren.

Dazu gehört die Aufklärung über Bauvorschriften, Flächennutzungsplanung und Frühwarnsysteme. Sie arbeiten mit Ingenieuren und politischen Entscheidungsträgern zusammen, um Strategien zur Risikominderung zu entwickeln und zu vermitteln, z. B. die Verstärkung von Bauwerken in erdbebengefährdeten Gebieten oder die Einführung von Hochwasserschutzsystemen.

Eine der wichtigsten Aufgaben von Geologen in der öffentlichen Bildung besteht darin, komplexe geologische Daten in zugängliche und umsetzbare Informationen zu übersetzen. Sie arbeiten mit Medien, Regierungsbehörden und Gemeindeorganisationen zusammen, um rechtzeitig Informationen über Risiken, Gefahrenbewertungen und Evakuierungspläne bereitzustellen.  In Zeiten erhöhter geologischer Aktivität, wie z. B. bei einem Vulkanausbruch oder einer Erdbebenwelle, liefern Geologen durch öffentliche Informationskampagnen Echtzeit-Updates. Dazu gehört auch die Verwendung einer verständlichen Sprache, um die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Ereignisse zu erklären und die Öffentlichkeit über Evakuierungsprotokolle zu informieren.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Geologen durch ihre Forschung, Überwachung und ihr Fachwissen über geologische Prozesse eine wichtige Rolle beim Katastrophenmanagement spielen. Durch die Integration von Feldarbeit, Laboranalysen, Fernerkundung und Computermodellen liefern sie wichtige Informationen, die Regierungen, Ingenieuren und Gemeinden helfen, sich auf gefährliche geologische Ereignisse vorzubereiten und deren Auswirkungen zu verringern. Durch die Identifizierung von Risiken, die Entwicklung von Präventionsstrategien und die Unterstützung bei der Katastrophenbewältigung und dem Wiederaufbau leisten sie einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Leben und Eigentum in katastrophengefährdeten Regionen. Ihre Arbeit hat einen direkten Einfluss auf die Katastrophenvorsorge und Risikomanagementstrategien, wodurch letztlich Leben gerettet und Schäden an der Infrastruktur minimiert werden.


Montag, 16. September 2024

Notfall, Angriff oder Katastrophe? Die bundesweite Pushmeldung PLUS Notfall-Apps informieren

Foto von Ralph W. Lambrecht


Am 12.09.2024 hat das erste Mal in Kusel eine bundesweite Pushmeldung als Warnung vor einer großen Gefahr funktioniert.

Hier wird nun also auch der nationale Handyalarm durch das Warnsystem „Cell Broadcast“ unterstützt. Dieses System ermöglicht es, Warnmeldungen direkt an Mobiltelefone zu senden, ohne dass die Nutzer sich dafür anmelden müssen. Strom braucht das Handy aber trotzdem. Also nie ungeladene Handys herumliegen lassen. Die Warnungen können bei verschiedenen Gefahren wie Naturkatastrophen, Hochwasser, Tornados/Orkane, Terroranschlägen oder anderen kritischen Situationen, zu informieren. Die Nachrichten können wichtige Anweisungen enthalten, wie man sich verhalten soll, um sicher zu bleiben oder sich in Sicherheit zu bringen.

Allerdings war diese Pushmeldung ohne weitere Hinweise oder Handlungsempfehlungen. Was wäre, wenn eine Gefahr benannt wird, aber nicht viel mehr? "Hochwasser in den meisten Gebieten". 

Natürlich, es gibt die Warn-App „NINA“, die Informationen zu aktuellen Gefahren und Notfällen bereitstellt. Mit "NINA", der Notfall-Informations- und Nachrichten-App des Bundes, können Sie wichtige Warnmeldungen des Bevölkerungsschutzes für unterschiedliche Gefahrenlagen, wie zum Beispiel Hochwasser, Gefahrstoffausbreitung oder einem Großbrand erhalten.

Der Bund müsste jedoch auch informieren, wenn das Schlimmste, ein atomarer Angriff auf Deutschland stattfinden würde. Im Falle Kusels besonders gefährlich, denn die Air-Base Ramstein ist nur wenige Kilometer entfernt. Bei der App "KATWARN", der zweiten wichtigen Informationsquelle, findet man ausschließlich offizielle Warninformationen zuständiger Behörden, Einrichtungen und Leitstellen. In Kusel wäre das vorwiegend die Kreisverwaltung Kusel, die alles koordinieren soll, aber auch DRK und andere ernannte Katastrophenhelfer beauftragen kann.

Da die Verantwortung für Warnungen in Deutschland je nach Gefahrensituation dennoch und leider auf verschiedene Einrichtungen verteilt ist, kann sich die Nutzung von KATWARN regional unterscheiden. Sie können nicht von Strukturen in Rheinland-Pfalz auf das Saarland oder etwa NRW oder umgekehrt schließen. Eine nationale Vereinheitlichung wäre also sehr sinnvoll.

In vielen Fällen ist es tatsächlich sehr hilfreich, wenn Warnmeldungen nicht nur auf eine Gefahr hinweisen, sondern auch klare Handlungsanweisungen beim ersten Push geben. 
Bei akuten Bedrohungen, wie z.B. einem Tornado, Luftangriff oder einem Terroranschlag, sind klare Anweisungen besonders wichtig. In anderen Fällen, wie bei einem Hochwasser, können die Menschen möglicherweise bereits wissen, was zu tun ist. 

Im Falle von atomarer Strahlung sind Anweisungen lebenswichtig, damit Menschen sich an einen sicheren öffentlichen Schutzort begeben, wenn sie draußen unterwegs sind. Der atomare Fallout 20 Minuten nach Explosion ist das größte Problem dieser grausamen Bombe. 

Kennen Sie die öffentlichen Sicherheitsräume für Katastrophen in ihrem Dorf, Ihrer Stadt? Wahrscheinlich nicht, denn das wird in den meisten Fällen weder geübt noch besprochen. Fragen Sie bei der Kreisverwaltung nach, was es dazu an Informationen gibt. 

Schutzräume, Bunker sind heute Mangelware. Im Notfall retten Sie sich zu netten Menschen in einem Haus oder suchen stabile Gebäude, die auch die Druckwelle aushalten. Fenster, Türen müssen geschlossen bleiben, Rollläden schließen, und es darf niemand während oder unmittelbar nach dem Fallout aus dem ungeschützten Draußen in diese Räume kommen.

Es ist auf jeden Fall sinnvoll, dass die Behörden in Zukunft verstärkt auf die Bereitstellung von Informationen, Handlungsanweisungen, Sicherungsräumen, Notfallplänen/-szenarios usw. achten, um die Bevölkerung bestmöglich zu schützen.

Freitag, 13. September 2024

Bericht über die ukrainische Wirtschaft zur Jahresmitte von Andrian Prokip

Mariupol vor der Zerstörung
















Die ukrainische Wirtschaft ist während des Krieges stark von der internationalen Finanzhilfe der Verbündeten abhängig. Gleichzeitig nutzt die Regierung interne Reserven, um die Wirtschaft zu stützen. Nachstehend ein Überblick über die Wirtschaft der Ukraine zur Jahresmitte. 

Wirtschaftswachstum


Trotz der Stromabschaltungen und geringerer Ernten als im Vorjahr hat die Nationalbank der Ukraine (NBU) ihre Erwartungen für das Wirtschaftswachstum im Juli von 3,0 auf 3,7 % erhöht. Die Unternehmen in der Ukraine sind jetzt viel besser auf Stromabschaltungen vorbereitet, da sie über Generatoren und Batterien verfügen. 

Inflation


Die Inflation blieb auf einem moderaten Niveau. Im Juli 2024 belief sich der Verbraucherpreisindex seit Jahresbeginn auf 4,3 %. In den vorangegangenen 12 Monaten lag dieser Wert bei 5,4 % (vor einem Jahr lag er bei 4,8 %). Die Nationalbank der Ukraine hat ihre Inflationserwartungen von 8,2 auf 8,5 % erhöht. Es wird jedoch erwartet, dass die Inflation im Herbst zu steigen beginnt. Gleichzeitig geht die NBU davon aus, dass sich die Inflation in den nächsten zwei Jahren verlangsamen und im Jahr 2026 wieder das Zielniveau von 5 % erreichen wird. 

Seit Anfang des Jahres hat die NBU ihren Zinssatz schrittweise von 15 auf 13 % gesenkt, da die Inflation moderat war und im erwarteten Rahmen lag.

Haushalt


In der ersten Hälfte des Jahres 2024 wies der ukrainische Haushalt ein Defizit von 14,5 Mrd. $ auf, das ist ein Viertel mehr als im gleichen Zeitraum 2023. Die Einnahmen lagen fast auf demselben Niveau, aber die Ausgaben waren um 8 % höher als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 

Gleichzeitig lagen die Einkommensteuereinnahmen im ersten Halbjahr 2024 um 6,5 Milliarden Dollar höher als im Vorjahr. Damit wurde der Rückgang der internationalen Finanzhilfe kompensiert. Von Januar bis Juli 2024 erhielt die Ukraine 16 Mrd. USD (15 Mrd. USD in Form von Darlehen und 1 Mrd. USD in Form von Zuschüssen) an externer Finanzierung, verglichen mit 23 Mrd. USD im gleichen Zeitraum 2023.

Ende Juli waren die verfügbaren Mittel auf den Konten der staatlichen und lokalen Haushalte geringer als Ende Februar, als die Ukraine zwei Monate lang keine internationale Finanzhilfe erhalten hatte. Im August erhielt das Land jedoch 3,9 Mrd. USD von den Vereinigten Staaten und 4,6 Mrd. USD von der EU, hauptsächlich in Form von Darlehen. Dies dürfte die Haushaltsliquidität bis Oktober oder November verbessern.

Steuern


Im Juli legte die Regierung einen Gesetzesentwurf zur Erhöhung der Steuerlast auf 4 bis 5 % des BIP vor. Am 3. September scheiterte die Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Parlament, da nur eine der 225 erforderlichen Stimmen fehlte. Sollte der Gesetzesentwurf verabschiedet und in Kraft treten, wäre dies die bedeutendste Steuererhöhung der letzten Jahre. Die neuen Steuersätze sind nicht nur für die Zeit des Kriegsrechts, sondern auch für die absehbare Zukunft geplant. 

Der Gesetzentwurf sieht unter anderem eine Erhöhung der Militärsteuer, die zusammen mit der Einkommensteuer erhoben wird, von 1,5 auf 5 % und die Einführung einer Militärsteuer von 1 % für Unternehmen vor. Zuvor hatte das Parlament ein Gesetz zur Erhöhung der Verbrauchssteuern auf Kraftstoffe verabschiedet, was umstritten war, da sich dieser Schritt auf alle Preise auswirken und die Inflation in die Höhe treiben wird.

Die Regierung hat einen Haushaltsentwurf und ein Steueränderungsgesetz vorgelegt, die eine Erhöhung der Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung um 12 Milliarden Dollar vorsehen. Die Regierung ist der Ansicht, dass beide Gesetzentwürfe gleichzeitig verabschiedet werden müssen. 

Die vorgeschlagene Steuererhöhung ist wahrscheinlich eher auf die Befürchtung zurückzuführen, dass die internationale Hilfe in Zukunft zurückgehen könnte, als auf einen Mangel an Mitteln in diesem Jahr. Die NBU geht davon aus, dass diese Mittel in den kommenden Jahren zurückgehen werden. Es wird erwartet, dass die internationalen Partner der Ukraine in diesem Jahr etwa 38 Milliarden Dollar an zinsgünstigen Darlehen und Zuschüssen und im nächsten Jahr etwa 31 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen werden.

Staatsverschuldung


Am 1. Juli beliefen sich die staatlichen und garantierten Schulden der Ukraine auf 152 Mrd. USD - nur 7 Mrd. USD mehr als zu Beginn des Jahres. Dieser leichte Anstieg der Staatsverschuldung ist auf den relativ geringen Umfang der externen Finanzierung (12 Mrd. USD), die Abwertung der Griwna von 38 auf 41 USD, wodurch sich die Schulden in US-Dollar verringern, und die Verringerung der staatlich garantierten Schulden um 1 Mrd. USD zurückzuführen.

Ende Juli stimmte die Ukraine einer Umstrukturierung der kommerziellen Auslandsschulden in Höhe von 23,4 Mrd. USD zu. Durch die Vereinbarung werden die Haushaltskosten für den Schuldendienst im Jahr 2024 um etwa 3,5 Mrd. $ gesenkt.

Die Zahlungsbilanz


Die Zahlungsbilanz verschlechterte sich in der ersten Hälfte des Jahres 2024 im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres. In der ersten Hälfte des Jahres 2023 stiegen die internationalen Reserven von 28,5 auf 38,8 Milliarden Dollar. In diesem Jahr sanken diese Reserven von 40,5 auf 37,9 Milliarden Dollar. Trotz des Rückgangs reicht dieser Betrag aus, um ein akzeptables Gleichgewicht auf dem Devisenmarkt zu halten und auf mögliche Krisen zu reagieren. Diese Reserven werden höchstwahrscheinlich dank der verstärkten internationalen Hilfe in der zweiten Jahreshälfte ansteigen. 


Freitag, 6. September 2024

Warum die Esten Sahra Wagenknechts Friedenswünsche nicht teilen können - und nicht nur die Esten





















Beharrlich fordert Sahra Wagenknecht Frieden zwischen Russland und der Ukraine. Aber sie versteht die Bedeutung des Begriffs nicht, schreibt Margus Paaliste aus Estland in seinem offenen Brief "Liebe Sahra Wagenknecht, Ihren Frieden möchte ich nicht". Dort herrscht Angst vor einem Einknicken gegenüber Putin – denn die Esten wissen, was totalitäre Herrscher unter „Frieden“ verstehen.

Der estnische Journalist kritisiert in seinem offenen Brief Sahra Wagenknecht und schreibt: „Sie haben keine Ahnung davon, was so wichtige Begriffe wie Frieden und Freiheit wirklich bedeuten.“ Er beschreibt seine Angst vor einem Einknicken gegenüber Putin: „Die Esten wissen, was totalitäre Herrscher unter ‚Frieden‘ verstehen.“ Er äußert seine Besorgnis über Wagenknechts Haltung: „Sie untergraben den gemeinsamen euro-atlantischen Kampf gegen den schrecklichsten Diktator, den Europa seit Stalin und Hitler gesehen hat.“

Der estnische Journalist beschreibt seine Besorgnis über Sahra Wagenknechts Friedensforderungen und die Reaktionen der Zuhörer: „Als ich mit Leuten sprach, die anwesend waren, um Ihnen zuzuhören, stimmten diese Ihnen zu. Sie sagten, das Einzige, was sie im Moment wollten, sei Frieden.“ Er betont, dass dies ein „völlig falsches Verständnis von Frieden“ sei und kritisiert Wagenknechts Aufrufe, sich in der NATO zurückzuhalten und Sanktionen gegen Russland abzubauen: „Das zeigt, dass Sie leider immer noch nicht verstanden haben, wie wichtig der Krieg in der Ukraine ist, und vor allem, wie wichtig Freiheit ist.“ Er warnt davor, dass Frieden unter einem totalitären Führer wie Putin nicht möglich sei: „Um aber einen wirklichen Frieden zu schließen, kann man nicht mit einem totalitären Führer verhandeln, ohne ihn für seine früheren Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.“

Paaliste diskutiert die Gefahren eines Friedensschlusses mit Russland unter der gegenwärtigen Herrschaft Putins. Es wird betont, dass ein solcher Frieden ohne den vollständigen Abzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine und ohne Bestrafung der begangenen Kriegsverbrechen, wie die Deportation ukrainischer Kinder und die Ermordung von Zivilisten, nur dazu führen würde, dass Putin weitere Konflikte in Nachbarländern anstiften würde. Die Ideologie der Russki Mir („Russische Welt“) wird als zentrale Motivation für Putins Handlungen dargestellt. Auch nachfolgende Diktatoren können diesen Weg einschlagen.

„Wenn der Frieden hergestellt wird, ohne die russischen Streitkräfte vollständig aus dem Hoheitsgebiet der souveränen Ukraine zu vertreiben und ohne die Kriegsverbrechen – wie die Deportation zehntausender ukrainischer Kinder und die Ermordung unzähliger ukrainischer Zivilisten – zu ahnden, wird Putin eine weitere Gelegenheit finden, in einige der souveränen Nachbarländer einzumarschieren.“

Zusätzlich wird auf die persönliche Perspektive des Autors eingegangen, der, obwohl er in Estland in Frieden lebt, Bedenken hinsichtlich der Freiheit und der Notwendigkeit, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen, äußert.

Der Brief thematisiert die Sicherheitsbedenken der Esten angesichts der russischen Aggression und die Überlegungen zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Es wird diskutiert, diese Ausgaben auf fünf Prozent oder mehr zu erhöhen, trotz der möglichen negativen Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten und Steuern. Der Autor betont, dass er lieber höhere Preise zahlt, als in Angst vor russischen Bomben zu leben. „Ich zahle lieber zwei Euro für ein Brot, als verzweifelt nach Essen zu suchen, während ich vor den russischen Bomben flüchte.“ Oder: „In den letzten zwei Jahren haben unsere Gemeinden über 100 öffentliche Plätze ausgewiesen, die als Unterkünfte genutzt werden könnten, wenn russische Bomben auf unserem Boden einschlagen.“ Und hier nennt er die permanente Urangst der Esten beim Namen: „Wir haben eine Art versteckte Angst, dass eine weitere russische Invasion stattfindet, wenn Menschen an die Macht kommen, die die Bedeutung des Krieges unterschätzen.“

Margus Paaliste äußert auch Bedenken über den Wunsch nach schnellem Frieden nach dem Diktat Puitins, den er als potenziell gefährlich ansieht, und stellt klar, dass er einen anderen Frieden wünscht: „Liebe Sahra Wagenknecht, auch ich wünsche mir Frieden. Aber nicht Ihren Frieden, sorry.“

Donnerstag, 5. September 2024

Untersuchung: Wie ostdeutsche Unternehmer die AfD sehen


(Matthias Diermeyer, IW) Unsere Untersuchung (gemeinsam mit Dr. Knut Bergmann und Wolfgang Schroeder) im Vorfeld der Landtagswahlen in Ostdeutschland zum Engagement von über 900 Unternehmen gegenüber der Rechtsaußen-Partei zeigen:

Auch die ostdeutschen Unternehmen verbinden mit der AfD vor allem Risiken. Als größte Sorge nennen die Unternehmen hier – wie in Westdeutschland – die Frage nach dem Bestand der EU und des Euros.
 
Selbst im Osten beträgt der Anteil an Unternehmen, die mit dem langfristigen Erstarken der AfD in verschiedenen ökonomischen Fragen Chancen verbinden, maximal rund 13 Prozent. 

Trotz der weitestgehend wirtschaftsliberalen Programmatik der Partei halten gerade einmal 29 Prozent der ostdeutschen Unternehmen einzelne AfD-Positionen für sinnvoll oder grundsätzlich vertretbar – im Vergleich zu 22 Prozent im Westen. 

Als eindeutige Unterstützer der rechtspopulistischen Partei lassen sich in Ost wie West nicht einmal fünf Prozent der Firmen einordnen. Demgegenüber erhebt jedes zweite westdeutsche und 29 Prozent der ostdeutschen Unternehmen öffentlich die Stimme gegen die Partei. Hinzu kommen weitere 15 Prozent im Westen und 19 Prozent im Osten, die sich intern gegen die Partei aussprechen. 

Wir schlussfolgern: Der von der AfD ausgerufene „Marsch durch die Organisationen“ hat in der Wirtschaft vorläufig in eine Sackgasse geführt. Vielmehr können lokale Unternehmer für das öffentliche Meinungsbildung, für Freiheit, Demokratie und Vielfalt, ausschlaggebend sein. Was sie insbesondere im Osten dabei bremst, ist eine weitverbreitete Enttäuschung mit den etablierten politischen Kräften.

Die Befragung wurde im IWZukunftspanels umgesetzt und zur Hälfte vom BDI - Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. finanziert. Vielen Dank an Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), das unsere Ergebnisse in seiner Discussion Paper Reihe veröffentlicht hat.