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Sicherheit und die Notwendigkeit von Kontrolle
Die Bedrohung durch russische Infiltration ist nach mehreren Verhaftungen von NABU-Mitarbeitern real. In dieser Ausnahmesituation erscheint eine temporäre Kontrolle durch den Präsidenten und den Generalstaatsanwalt als ein legitimer Versuch, die Handlungsfähigkeit des Staates zu sichern. Die Regierung sieht darin die einzige Möglichkeit, Sabotage und Spionage effizient zu bekämpfen – insbesondere in Behörden, die Zugang zu sensiblen Daten und Ermittlungen haben.
Das Risiko des Machtmissbrauchs
Gleichzeitig birgt die Konzentration von Macht ohne unabhängige Aufsicht erhebliche Gefahren. Die europäische Geschichte zeigt, dass temporäre Ausnahmen schnell in dauerhafte Machtverschiebungen münden können. Der Sicherheitsimperativ darf kein Freibrief für politische Einflussnahme sein – insbesondere bei Ermittlungen, die enge Vertraute der Regierung betreffen.
Die Erfolge von NABU und SAPO
Gerade weil NABU und SAPO in der Vergangenheit Erfolge erzielt haben, ist ihre Unabhängigkeit schützenswert:
- Mehr als 1.200 Ermittlungen gegen Top-Beamte, Minister und Richter
- Aufdeckung von Korruptionsfällen in Millionenhöhe, darunter ein Bestechungsversuch eines obersten Richters
- Rückführung von über 10 Milliarden UAH an den Staat, davon 2,56 Milliarden UAH für Verteidigungsausgaben
- Internationale Anerkennung als Modellinstitutionen durch EU, G7 und IWF
Diese Bilanz zeigt, dass die Institutionen prinzipiell funktionstüchtig sind – und dass die Schwächen punktuell, aber nicht systemisch sind.
EU-Skepsis und der Pfad zurück zur Rechtsstaatlichkeit
Die EU erkennt die sicherheitspolitischen Herausforderungen an, fordert jedoch klare rechtsstaatliche Rahmenbedingungen. Sie verlangt nach richterlicher Kontrolle, Transparenz und einer Exit-Strategie, die den Weg zurück zur institutionellen Unabhängigkeit ebnet. Die milliardenschwere Unterstützung Europas hängt nicht zuletzt vom Vertrauen in funktionierende Gewaltenteilung ab.
Zeitweise Kontrolle mit Rückkehrgarantie
Eine temporäre Kontrolle kann legitim sein – aber sie muss auf festen Regeln basieren und aktiv zur Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit beitragen. Die Öffentlichkeit wartet auf Klärung der Maßnahme und wird alles kritisch betrachten. Die EU wird Folgendes erwarten:
- Gesetzlich festgelegte Dauer der politischen Aufsicht
- Messbare Sicherheitsziele (z. B. Überprüfung von Personal, Sicherheitsstruktur, Datenzugang)
- Nach Zielerreichung Rückkehr zu international und zivilgesellschaftlich besetzten Auswahlprozessen
- Einbindung eines unabhängigen Expertengremiums zur Begleitung und Bewertung des Prozesses
- Beteiligung von NGOs, Medien und Bürgervertretungen in der Beobachtung und Veröffentlichung von Fortschritten
- Ausschluss von Postenübernahmen durch russlandfreundliche Vertreter
AKTUELL (26.07.2025): Nach den landesweiten Protesten gegen das neue Antikorruptionsgesetz hat Präsident Wolodymyr Selenskyj angekündigt, innerhalb von zwei Wochen einen gemeinsamen Aktionsplan mit den Leitern der Strafverfolgungs- und Antikorruptionsbehörden zu entwickeln.
Tausende Menschen protestierten in Kiew, Lwiw, Odessa und Dnipro – die größten Proteste seit Kriegsbeginn. Kritiker sehen darin einen Rückschritt in autoritäre Strukturen und eine Gefährdung der EU-Beitrittsperspektive. Die EU-Kommission bezeichnete das Gesetz als „ernsthaften Rückschritt“ und warnte vor Konsequenzen für finanzielle Hilfen und Beitrittsverhandlungen.
Selenskyjs Rechtfertigung
Er begründete die Reform mit dem Ziel, die Behörden von russischem Einfluss zu befreien. Trotz der Kritik betonte er, dass NABU und SAPO weiterhin arbeiten würden – „nur frei von russischem Einfluss“. Ob diese Maßnahmen tatsächlich zu einer effektiveren Korruptionsbekämpfung führen oder die Kontrolle über Ermittlungen zentralisieren, bleibt umstritten.