Noch nie haben die Behörden so viele politisch motivierte Straftaten gezählt wie im vergangenen Jahr. Bundesinnenministerin Faeser sieht darin eine Mahnung: Die Zahlen seien ein Spiegelbild gesellschaftlicher Konflikte. Die aktuelle Statistik zu Straftaten mit politischem Hintergrund ist alarmierend. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten hat im vergangenen Jahr noch deutlicher zugenommen als bisher bekannt. Das gilt nicht nur für so genannte Propagandadelikte, auch bei den Gewalttaten steigt die Kurve an. Das geht aus der Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) für 2021 hervor. Demnach wurden im Jahresverlauf in Deutschland 55.048 Straftaten mit politischem Hintergrund gezählt. Das war ein Höchstwert und gut 23 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten stieg um 15,5 Prozent auf 3899 Straftaten.
Mit einem Plus von mehr als 147 Prozent war der Anstieg bei solchen Straftaten, die von der Polizei keiner speziellen Ideologie zugeordnet wurden, am größten. Auf Tatverdächtige, die weder als Rechte, Linke, Islamisten oder Anhänger einer ausländischen Ideologie verortet wurden, entfielen den Angaben zufolge 21.339 Delikte. BKA-Präsident Holger Münch sieht dabei einen Zusammenhang mit den Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Weitere Straftaten mit politischem Hintergrund, die keinem der "klassischen Phänomenbereiche" zuzuordnen waren, seien im Umfeld von Wahlen verübt worden. Die Hintergründe sind diffuser geworden. Dazu passt, dass auch die Zahl der Straftaten gegen den Staat und seine Vertreter noch einmal stark zugenommen hat. Mehr als 14.000 Straftaten hat die Polizei hier registriert - ein Plus von knapp 51 Prozent. Knapp drei Viertel der Taten, die sich gegen Amts- oder Mandatsträger richteten, betrafen Tatverdächtige, die von der Polizei keiner bestimmten Ideologie zugeordnet werden konnten. Dass die Hintergründe für politisch motivierte Taten "vielfältiger und auch diffuser geworden sind", ist aus Sicht von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ein Spiegelbild aktueller gesellschaftlicher Konflikte. Sie sagt: "Wir sehen sehr deutlich, dass wir unsere Demokratie mit aller Kraft schützen müssen."
Auch die Zahl der antisemitischen Delikte stieg deutlich - um knapp 29 Prozent auf 3027 Straftaten. Das sei "eine Schande für unser Land", sagt die Ministerin. 84 Prozent der antisemitischen Straftaten seien Rechtsextremisten zuzuordnen. Gleichzeitig werde ein immer lauterer islamistisch geprägter Antisemitismus sichtbar. Laut einer vom American Jewish Committee (AJC) in Auftrag gegebenen Studie wird Antisemitismus zwar von 73 Prozent der Menschen als gesamtgesellschaftliches Problem wahrgenommen. Zugleich würden jedoch antijüdische Vorurteile "von einem beachtlichen Teil der deutschen Gesellschaft unterstützt". Bis zu 35 Prozent der Bevölkerung teilten antisemitische Ressentiments. Insgesamt 23 Prozent der Befragten meinten, Juden hätten zu viel Macht in Wirtschaft und Finanzwesen. Knapp 20 Prozent sehen einen zu großen Einfluss von Juden in Politik und Medien. Die Befragung von Musliminnen und Muslimen zeigt laut den Autoren, dass antisemitische Ressentiments dort deutlich verbreiteter sind als im Durchschnitt. Antisemitische Einstellungen seien zudem unter Moschee-Besuchern häufiger als unter anderen Muslimen.
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