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Sonntag, 5. Juli 2015

Sinn und Unsinn von Täterverurteilung 70 bis 80 Jahre nach dem III. Reich


(SV) Ein 94-Jähriger berichtet über seine Mittäterschaft in der extremen Menschenverfolgung des Nazireiches. Als Ausführender trifft ihn eine große Mitschuld wie alle anderen Rädchen im Getriebe, die die Türen zu den Gaskammern, den Deportationslagern und -zügen öffneten, die Kleider, Geld, Schmuck- und Wertgegenstände beschlagnahmten, folterten und töteten, Verlegungen unterschrieben, Tötungen anordneten.

Seine Entschuldigung über die Medien wirkt fast wie eine inszenierte symbolische Reinwaschung der eigentlichen Drahtzieher. Die wenigen Todesstrafen und Gefängnisstrafen für die oberen Entscheider wiegen im Grunde genommen wenig auf der Waagschale der Gerechtigkeit. Schlüpften viele der eigentlichen Verursacher und Träger später in hohe und höchste Ämter, sammelt das öffentliche Gerechtigkeitsbedürfnis selbst 70-80 Jahre später die letzten größeren Knechte des Regimes ein, um sie kurz vorm Tod noch scheinbar zu richten. Als ob das Verursacherprinzip einfach verschoben werden würde.


Ist jeder Schuld, der in einer Diktatur mitmacht als Ausführender? Hatte er denn das Recht zu verweigern überhaupt gehabt? Was, wenn er sofortigen Einhalt geboten hätte, sich geweigert hätte? Wäre da nicht vom Kommandant des Auschwitzer Konzentrationslagers sofortige Festnahme, Inhaftierung und ggf. Erschießung angeordnet worden? Hätte er das tun müssen, um unschuldiger zu sein? Er konnte sich gar nicht mehr so schnell zurückziehen, einmal dabei. Kein Wort davon, dass er Tötungen überwacht, eingeleitet oder durchgeführt hätte. Das Lagerkommando und die obersten Offiziere sind hier erst einmal zur Verantwortung zu ziehen, was ja auch zum Teil passiert ist. Kann ein SS-Unterscharführer, niedrigster Unteroffizier in der SS, als Führer einer "Schar" von ca. 8 bis 20 Soldaten so verantwortlich sein?

Am 15.07.2015 wurde im Lüneburger Auschwitz-Prozess der frühere SS-Mann Oskar Gröning zu vier Jahren Haft verurteilt. Der 94-Jährige habe sich der Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen schuldig gemacht, urteilte das Gericht.

Es wurde in der gesamten Berichterstattung nicht klar, wie diese Zahl ihm angelastet werden konnte. Der sog. "Buchhalter von Auschwitz" soll im Frühjahr 1944 Spuren der Massentötung an ungarischen Juden verwischt haben, indem er half, an der Bahnrampe des nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau Gepäck der dorthin verschleppten Menschen wegzuschaffen. Gröning arbeitete damals in der sogenannten Abteilung für Häftlingsgeldverwaltung und leitete in dieser Funktion auch das den Opfern abgenommene Bargeld nach Berlin weiter. 

Und all die anderen, die solcher Art involviert waren? Es ruft Verwunderung hervor, auch wenn die Überlebenden und Kläger es nie vergessen werden, wie sie von der SS mit Gröning nach der Ankunft (und schon zuvor) ausgeraubt wurden. Sie wollten Genugtuung, es steht Ihnen auch voll und ganz zu. Dennoch von einer Schuldübertragung in 300.000 Fällen zu sprechen? Aber man tut sich schwer, ihn auf einem Level mit Demjanuks und Mengeles zu sehen.

Sehr interessante Darstellung in der ZEIT:

Oskar Gröning und die Beihilfe
von Thomas Fischer, Bundesrichter in Karlsruhe


http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-07/ns-verbrecher-beihilfe-taeter-strafrecht-justiz-fischer-im-recht